Waltraud Lucic

Text folgt

Christian Marek - Schülern eine Stimme geben 

MLLV-Ehrenvorsitzender Christian Marek im Porträt 

Als 1968 die Studenten rebellierten, war Christian Marek gerade 15. Zu jung für Studentenproteste, aber alt genug, für seine Überzeugungen einzutreten und alte Krusten aufzubrechen. Das hat er zeitlebens auch getan. Als engagierter Lehrer, später Rektor, hat er sich nicht nur in den Dienst seiner Schüler gestellt und wie ein Löwe für sie gekämpft. Er hat auch über 30 Jahre in verschiedensten Ämtern seine Kraft, Zeit und Ideen dem BLLV zur Verfügung gestellt. 1985, mit gerade mal 32 Jahren, wurde er zum jüngsten Vorsitzenden des MLLV gewählt. 15 Jahre lang stand er den Münchner Kolleginnen und Kollegen vor, 25 Jahre lang war er Vorsitzender des Personalrats München-Stadt. Er prägte somit nicht nur das Schulleben in der Landeshauptstadt entscheidend mit, sondern setzte durch sein Engagement im BLLV-Landesausschuss auch landesweit schulpolitische Akzente. Dafür bekam er 2017 das Verdienstkreuz am Bande sowie die Kerschensteiner-Medaille der Stadt München verliehen. 

„Die Wohnung ist der Spiegel zur Seele“, heißt es so schön. „Zeige mir deine Wohnung und ich sage dir, wer du bist.“ Getreu dieser Volksweisheit verwundert es nicht, dass Christian Marek mit seiner Frau Johanna in einem Haus in Pasing wohnt, das innere Ruhe, Freundlichkeit und Behaglichkeit ausstrahlt. Man fühlt sich sofort wohl in dem hellen, lichtdurchfluteten und stilvoll eingerichteten Zuhause. Dazu tragen auch die vielen Bücher und Tonträger bei, die in großen Regalen zum Stöbern und Verweilen einladen, aber auch die Zeichnungen seines Sohnes Ulrich und die Ölbilder seines Vaters Hans. „Mein Sohn hat definitiv das Talent von meinem Vater geerbt“, sagt Christian Marek stolz. Vor den Bildern seines Vaters bleibt er stehen, wird nachdenklich. Mit jedem Bild verbindet er eine Geschichte, eine Erinnerung oder ihm vertraute Landschaft. Vater Hans und Mutter Berta waren beide Künstler, hatten beide an der Akademie der Bildenden Künste in München Malerei studiert und sich ineinander verliebt. Sie heirateten und bekamen eine Tochter und drei Söhne. Christian war ihr Erstgeborener. Um seine vier Kinder zu ernähren, arbeitete der Vater zunächst als Kinoplakat-Maler und später als Technischer Zeichner in Festanstellung. Aber weder die Aufträge, Reklame-Großleinwände für Münchner Kinos noch das Zeichnen von Bauschaltplänen oder die gelegentlichen Aufträge, Gemälde italienischer Künstler zu kopieren, konnten das Künstlerherz des Vaters entzücken. „Er war zufrieden, dass er damit seine Familie ernähren konnte, aber es war nicht die Kunst, die er machen wollte“, erinnert sich Christian Marek. Vielleicht hat er deshalb auch keines dieser Bilder aufgehängt. Sie drückten nicht den Vater oder Künstler aus, der er im Inneren war. Sein künstlerisch Innerstes nach Außen kehren konnte der Vater erst, als er in Frühpension ging. Aus den konkreten Berglandschaften, die er früher so gerne auf seinen Malreisen nach Österreich oder Italien geschaffen hatte, wurden immer abstraktere Werke, die sich letztlich zur reinen Farbfeldmalerei wandelten. All das sieht Christian Marek, wenn er die Bilder aus dem Spätwerk seines Vaters betrachtet. Und er lebt mit ihnen: Im gesamten Haus hat der Vater seine künstlerischen Spuren hinterlassen. Das größte Gemälde allerdings hängt als Leihgabe im Pasinger Rathaus. Wenn Christian Marek dort die 20 Farbquadrate des Bildes betrachtet, ist es, als würde er wieder aus dem großen Atelierfenster seines Elternhauses blicken. Und wenn der heute 64- Jährige von seiner Kindheit in Pasing erzählt, kann man erahnen, wie wohl er sich in diesem Haus gefühlt hat. 

„Wir hatten ein harmonisches Familienleben. Auch wenn die finanziellen Mittel knapp waren, so waren wir doch reich an vielen anderen Dingen“, erzählt Marek und ist gedanklich wieder im 

Elternhaus. Dort wimmelte es nur so vor Kreativität – und anfangs vielen Menschen. Die Familie wohnte im Atelier des verstorbenen Malers Fritz Baer, zusammen mit einigen anderen Künstler- Studenten. Heute würde man sagen, es war eine WG. Toilette, Bad und Küche teilte man sich mit den anderen Mitbewohnern. „Das Atelier war toll. Der Raum war 4,20 Meter hoch, wir hatten eine Innengalerie und ein großes Fenster zum Garten hinaus. Der Garten war herrlich. Ideal zum Fußballspielen. Mein Vater hat mir sogar ein Tor gebaut und die Nachbarskinder waren oft bei uns zum Spielen.“ Fußball war die große Leidenschaft des kleinen Christians. Er perfektionierte sein Können beim TSG Pasing, war sogar Verteidiger in der Bayerischen Schülerauswahl. „Ich dachte, ich werde Profi-Fußballer“, räumt er ein. Aber dafür hätte er zu 1860 wechseln müssen. „Mein Vater war aber von diesem Wechsel nicht gerade begeistert. Ich hätte mehrmals in der Woche Training gehabt.“ Seinen Eltern war aber wichtiger, dass ihr Sohn mehr Zeit über den Schulbüchern als auf dem Rasen verbrachte. „Für Hausaufgaben hatte ich aber nicht viel übrig. Ich hab wirklich immer nur das Nötigste gemacht. Hauptsache, ich war schnell wieder beim Fußballspiel.“ Das änderte sich, als er mit 16 ans Gymnasium nach Freising wechselte. Für seine große Leidenschaft blieb nicht mehr viel Zeit. Seine Englischlehrerin weckte in dem Teenager den Rebellen. „Die war nicht nur erzkonservativ, hatte ein sehr beschränktes pädagogisches Geschick und hat uns allen in der Klasse Englisch vergällt“, beschreibt Marek sie. Statt die Situation Stunde für Stunde still zu ertragen, wurde sein Kampfgeist geweckt. Er konnte einen Großteil der Schüler motivieren, sich an der von ihm initiierten Unterschriftenaktion gegen seine Englischlehrerin einzutragen. Dadurch hat er den Klassleiter auf die Situation aufmerksam gemacht, der sich mit den Schülern solidarisch erklärte und mit der Englischkollegin ein ernstes Wörtchen redete. 

Marek erkannte, er konnte anderen eine Stimme geben, sie zu Verbesserungen motivieren und alte Krusten aufbrechen. „Ich war damals widerspenstig, ja, aber das hatte nichts mit dem Zeitgeist oder mit 68 zu tun. Das kam aus meinem Innersten.“ Und doch hat er mit den 68ern etwas gemeinsam: Er rebellierte, wollte vieles verändern, aber er achtete sein Gegenüber, begegnete allen auf Augenhöhe, setzte sich mit der Gegenseite intellektuell auseinander, suchte stets den Dialog. Oder wie MLLV- Vorsitzende Waltraud Lucic bei einer Laudatio über ihn sagte: „Eines seiner Erfolgsrezepte war sein Führungsstil. Er hat sich alle Meinungen angehört und gelten lassen, sie aufgenommen und mit in sein Konzept integriert.“ Marek war als Lehrer und Funktionär ein Beweger, ein Macher, ein Mann mit vielen Ideen. Er wollte in seinem Leben etwas bewirken und entschied sich deshalb auch bewusst für das Lehramt Volksschule. „Zum einen habe ich die Schule genossen. Mich haben Lehrer beeindruckt und inspiriert, die uns Schüler ernst genommen und als Menschen behandelt haben.“ Zum anderen wollte er auch Kinder und Jugendliche ein Stück weit auf ihrem Lebensweg begleiten, für sie kämpfen und sich einsetzen. „Leider produzieren wir in den Schulen immer noch zu viele Verlierer und zu wenig Gewinner“, bedauert er. Und es gebe immer noch viel zu viele Kinder, die es schwer hätten im Leben und nicht das große Glück hätten, in einer so harmonischen und glücklichen Familie wie er aufzuwachsen. „Ich habe versucht, diesen Schülern Rückhalt zu geben, damit sie ihren Platz im Leben finden und innerlich gefestigt sind. Als Lehrer war mir das wichtig. Es sollte nicht nur darum gehen, Stoff zu vermitteln.“ Bildung ist für ihn mehr. Es ist auch die Prägung von Herz und Verstand. 

Marek setzte sich nicht nur für Schüler ein, sondern auch für seine Kollegen. Kein Wunder, dass der engagierte Lehrer schnell den Weg zum BLLV fand und auch bald verschiedenste Ämter übernahm. Wobei der Eintritt in den Verband einer Laune entsprang. „Als Student wollte ich eine Rede Eberts hören, aber nur BLLV-Mitglieder durften rein“, erinnert sich Marek und lächelt. „Dann bin ich eben eingetreten“, sagt er und zuckt mit der Schulter. Und er ist geblieben. Drei Jahre später übernahm er sein erstes Amt, wurde Geschäftsführer der ABJ München-Stadt. Seine Karriere im MLLV begann. Dass eine passive Mitgliedschaft auch nicht seinem Wesen entspricht, ist klar. Er sagt auch selbst von sich: „Mein Antrieb war immer, den Kolleginnen und Kollegen eine Stimme zu geben. Eine Stimme, die nicht in larmoyantem Ton regelmäßig irgendwelche Defizite aufzählt, sondern eine Stimme, die unsere Profession selbstbewusst vertritt und bei allen Vorstößen und Vorschlägen die Lage der Schülerinnen und Schüler als Basis versteht.“ 

Man kann sich bei seinen alten Weggefährten umhören wie man will: Alle schätzen ihn noch heute als disziplinierten, pflichtbewussten und bescheidenden Menschen, mit dem man vertrauensvoll zum Wohle der Schüler oder Kollegen zusammenarbeiten konnte. Und noch etwas kennzeichnet Marek, sowohl als ehemaliger Rektor der Grundschule Guardinistraße oder später als Rektor der Grundschule an der Oselstraße in Pasing, als BLLV-Funktionär oder Personalratsvorsitzender: Er brachte viele neue und innovative Ideen ins Schulleben und in die Schulpolitik ein. Zum Beispiel integrierte er bereits vor 16 Jahren behinderte Kinder an seiner Oselschule, als für viele „Inklusion“ noch ein Fremdwort ohne Inhalt war. 

Die Liste seiner Errungenschaften wäre lang. Marek hat auf vielen Feldern für Verbesserungen oder die Einführung neuer Ideen gekämpft. Sie alle aufzuzählen, dafür würde der Platz nicht reichen. Aber eines fällt auf: Woher hat er nur die Kraft genommen, auf so vielen Plätzen zu spielen, den Ball zu führen und ihn sich nicht abnehmen zu lassen? „Ohne Musik geht in meinem Leben nichts“, antwortet Marek und zitiert Nietzsche mit den Worten „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.“ Sein Kammerorchester „Die Zarge“, das er 1975 zusammen mit seiner Frau Johanna gegründet hat, ist ein wichtiger Teil seines Lebens. „Heute habe ich natürlich mehr Zeit zum Üben als früher im Dienst“, sagt er und holt seine Bratsche hervor. Das Musizieren gibt ihm innere Ruhe, lässt ihn Sorgen und Nöte vergessen, seine Gedanken ordnen. „Musik ist für mich wie Meditation“, sagt er. Und plötzlich ist er gedanklich wieder ein kleiner Bub und in seinem Elternhaus in Pasing. „Im Haus hat auch eine Physikerin gewohnt, die sehr gut Geige spielte. Ich hab bei ihr viele Streichquartette mitanhören dürfen. Als ich zehn Jahre alt war, hat sie mir dann auch eine Geige geschenkt. Meine erste.“ Marek lächelt und sein Blick schweift von der Bratsche zu einem Bild seines Vaters. „Ich hatte wirklich eine wunderschöne Kindheit.“ 

Claudia Rothhammer 

 

Vita Christian Marek 

  • Geb. 1953 in München als ältester Sohn des Künstlerpaares Hans und Berta Marek (eine Schwester, zwei Brüder)
  • 1974 Abitur am musischen Camerloher Gymnasium in Freising
  • 1974 bis 1977 Lehramtsstudium in München - 1980 2.Staatsexamen
  • verheiratet seit 1976 mit Johanna Marek, auch Lehrerin und später Rektorin
  • Sohn Ulrich Marek (*1990) Architekt für Städteplanung und Landschaftsbau
  • 18 Jahre Lehrer an verschiedenen Münchner Hauptschulen
  • 20 Jahre Rektor an zwei Münchner Grundschulen (GS Guardinistr, GS Oselstr.)
  • seit dem Studium standes- und bildungspolitisch in verschiedensten Funktionen aktiv im Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) davon 15 Jahre (1985 bis 2000) Vorsitz im Münchner Bezirksverband (MLLV), heute dessen Ehrenvorsitzender
  • 2003 bis 2015 vom BLLV bestellter pädagogischer Schriftleiter der Schuljugendzeitschriften FLOHKISTE/floh!
  • 25 Jahre lang Personalratsvorsitzender für die ca. 4000 Beschäftigten im Bereich des Staatlichen Schulamtes München-Stadt  von 1990 bis 2015
  • 2007 Herzoperation
  • 2015 Eintritt in den Ruhestand
  • 2017 Bundesverdienstkreuz für bildungspolitische Arbeit und Ehrung durch die Landeshauptstadt München mit der Kerschensteiner Medaille
  • Ehrenämter im BLLV: Kuratoriumsvorsitzender des Münchner Studentenwohnheimes an der Cimbernstraße und Vorsitzender des Stiftungsbeirates der MLLV-Bildungsstiftung
  • Freizeitschwerpunkt ist die klassische Musik auch aktiv als Vorsitzender und Bratscher des in München bekannten Kammerorchesters DIE ZARGE, das er mit seiner Frau 1975 gegründet hat. 
  • Interesse für bildende Kunst (u.a. Nachlassverwaltung des Werkes von Vater Hans Marek)
  • Sportliche Aktivitäten: Wandern, Radln, Skifahren (leider kein Tennis und kein Fußball mehr seit diversen Knieoperationen)