Ein Münchner Flaggschiff für BNE stellt sich vor

Wertvolle Impulse aus dem Werner-von-Siemens-Gymnasium

Inzwischen ist das Städtische Werner-von-Siemens-Gymnasium in Neuperlach (WSG) weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt für das beispielhafte Engagement der Schulgemeinschaft im Bereich „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE). Kürzlich hat die Schule auch bei einem bundesweiten Wettbewerb einen von fünf Schulpreisen gewonnen. In diesem Interview verrät Ihnen die stellvertretende Schulleiterin Susanne Sütsch ihr „Erfolgsrezept“.

MLZ: Herzlichen Glückwunsch Ihnen und Ihrem Team zur Auszeichnung im Rahmen des Bundeswettbewerbs „alle für EINE WELT für alle“! In der Begründung heißt es: „Die Schule überzeugte die Jury mit ihrem dynamischen Nachhaltigkeitskonzept ‚Konzept N‘.“ Bitte stellen Sie uns dieses besondere Konzept kurz vor.

Sütsch: Im Sinne des Whole Institution Approach wird am WSG eine Schulkultur gefördert, die den Lebensraum Schule – mit all seinen Akteurinnen und Akteuren – als Ganzes betrachtet. Das „Kerngeschäft“ der Schule, guter Unterricht, wird dabei mit weiteren wichtigen Aspekten des Systems Schule verknüpft, wie z. B.: Schule als Ort, der sozial und ökologisch fair gestaltet ist – Schulessen, Einrichtung, Unterrichtsmaterialien, Schulgarten, Umgang mit Müll, Energieverbrauch usw. Gemäß dem Schulmotto „Verschieden sind wir stark“ ist es uns wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler lernen, eine nachhaltige diskriminierungskritische Perspektive einzunehmen.

MLZ: Wie kam es dazu, dass Sie sich auf den Weg zum „Konzept N“ gemacht haben?

Sütsch: Seit 2013 ist das WSG Umweltschule in Europa und arbeitet seitdem verstärkt mit verschiedenen externen Partnern zusammen, v. a. mit dem Ökoprojekt MobilSpiel e. V., dem Nord Süd Forum e. V. und Greenpeace e. V., aber auch mit dem Münchner Umweltzentrum im ÖBZ, foodsharing e. V., Initiative für Wandel Trudering. und Green City e. V.. Es fanden zahlreiche Projekte im Bereich BNE an unserer Schule statt, es fehlte jedoch stets ein Gesamtkonzept. Ziel des Konzepts N ist es, die vielfältigen einzelnen Projekte und Aktivitäten zusammenzuführen und zu vernetzen.

MLZ: Die Jury stellte heraus, dass beim „Konzept N“ „alle Akteurinnen und Akteure der Schulfamilie – Schülerinnen und Schüler, Eltern, Lehrkräfte und das nichtpädagogische Personal – mit eingebunden“ werden. Wie sieht das konkret aus?

Sütsch: Lehrkräfte können unterschiedliche Aspekte der Nachhaltigkeit und globaler Gerechtigkeit nach eigenen Interessen und selbstgewählten Schwerpunktsetzungen in ihrem Unterricht und Schulalltag aufgreifen. Wir verfolgen einen partizipativen Ansatz, wo sich Kinder und Jugendliche aktiv einbringen können, z. B. als Umweltbeauftragte, über die SMV in P-Seminaren. oder auch über spezielle Workshops. Eltern werden die Grundsätze bereits bei der Einschreibung deutlich gemacht. Sie erhalten ein Infoblatt: Besonders wichtig ist die Unterstützung bei der Pausenverpflegung, der Anschaffung von Lernmitteln wie Heften oder Schreibmaterialien und beim Schulweg. Eltern sollen angehalten werden, die Kinder nicht mit dem Auto zu bringen. Ein wichtiger Bestandteil ist auch das nichtpädagogische Personal (Technische Hausverwaltung, Sekretariatsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, Kiosk- und Mensabetreiberinnen und -betreiber und das Reinigungspersonal) zu informieren und für die Maßnahmen zu begeistern. Zum Austausch und Sammeln neuer Ideen haben wir das Forum N installiert. Hier kommen alle Akteure der Schulfamilie zusammen und begegnen sich auf Augenhöhe. Die Ergebnisse werden auf einem Trello-Board zum Nachverfolgen gesammelt. Diese digitale Plattform ist ein wichtiger Bestandteil zur Beteiligung. Sie ist gestaltet wie eine Pinnwand und eignet sich um Ideen zu sammeln, die Entwicklung zu dokumentieren und Erfolge zu sichern.

MLZ: An Ihrer Schule wurde eine „SDG-Broschüre“ erarbeitet, die „die einzelnen globalen Entwicklungsziele vorstellt und konkrete Umsetzungsmöglichkeiten im Umfeld der Schülerinnen und Schüler beleuchtet.“ Welche konkreten Beispiele daraus sind Ihnen besonders wichtig?

Sütsch: Alle SDGs sind wichtig und das tolle an der Broschüre ist, dass wir zu jedem Ziel ein Beispiel an der Schule oder im Umfeld finden konnten. Das Ziel 7 „Zugang zu nachhaltiger Energie“ z. B. bedeutet für das WSG aktiv gegen den übermäßigen Verbrauch von Energie vorzugehen. Wir haben schon einige Maßnahmen getroffen, um den Zugang zu nachhaltiger Energie zu sichern und um zu versuchen, so wenig Energie wie möglich zu verbrauchen. Zum Beispiel wurden Solarpanels auf dem Dach der Turnhallen installiert. Außerdem ist im letzten Jahr ein Energierundgang durchgeführt worden und alle Lampen sind durch Energiesparlampen ersetzt worden. Zusätzlich nimmt das WSG am fifty/fifty-Projekt teil und hat in diesem Jahr zusammen mit Greenpeace in dem Projekt schools for earth seinen CO2-Fußabdruck ermittelt und dadurch viele weitere Anregungen erhalten, wie an dem großen Schulzentrum Energie eingespart werden kann.

MLZ: Wie wirkt sich das „Konzept N“ im Hinblick auf den Alltag und das Miteinander an Ihrer Schule aus?

Sütsch: Wir beobachten, dass sich zunehmend mehr Lehrkräfte für das Thema interessieren und aktiv mitarbeiten. Anfangs wurden wir belächelt, aber im Laufe der Zeit wurde klarer, dass sich jeder mit seinen Ideen einbringen kann, da die Bandbreite so groß ist. Außerdem lässt sich die Wichtigkeit des Themas kaum noch bestreiten. Jährliche SCHiLF, die in das Thema einführen, unterstützen den Prozess. Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler und Eltern sprechen uns mit neuen Ideen an, z. B. die Installation eines Büchertauschregals. Das Thema nimmt an Fahrt auf und wird im Alltag gelebt, wobei sich immer wieder neue Themenfelder auftun, in denen wir aktiv sein müssen. Die Beharrlichkeit unseres engagierten Teams hat sich wirklich ausgezahlt und darauf sind wir stolz. Nicht zuletzt haben unsere Erfolge in den letzten zwei Jahren, sprich die Auszeichnung der UNESCO als nachhaltiger Lernort und der Schulpreis im Rahmen des 9. bundesweiten Schulwettbewerbs zur Entwicklungspolitik „alle für EINE WELT für alle“ dazu beigetragen, die gesamte Schulfamilie noch stärker von der Wichtigkeit des Themas zu überzeugen.

MLZ: Im Schulalltag bindet die Bewältigung der Corona-Pandemie derzeit enorm viel Energie. Dazu kommen die üblichen Herausforderungen wie knappe Lehrerstunden, die Digitalisierung oder ständig neue Vorgaben „von oben“. Hut ab, was Sie trotz allem bereits erreicht haben! Was hilft Ihnen dabei, das „Konzept N“ so nachhaltig voranzutreiben?

Sütsch: Es ist schlicht die Begeisterung des Teams das Thema voranzubringen. Die meisten arbeiten on top, weil sie für das Thema brennen. Das Kernteam ergänzt sich in seinen Interessen und motiviert sich gegenseitig, falls es mal nicht so gut läuft. Erfolgserlebnisse wie Schulpreise oder das Lob der ehemaligen Stadtschulrätin Beatrix Zurek bieten zusätzlichen Ansporn.

MLZ: „Corona“ zwingt alle dazu neue Wege zu gehen. Wie schaffen Sie es, dass BNE trotzdem weiterläuft?

Sütsch: Die Digitalisierung hat uns eher geholfen, das Konzept N noch weiter voranzutreiben. So fand das Forum N, eine fest installierte Organisationsplattform mit Vertretern aus allen Ebenen des Schullebens, schon zum zweiten Mal digital über „Zoom“ statt und wir konnten auf diesem Wege mehr Kinder, Jugendliche und Eltern erreichen und für unsere Ideen begeistern.

MLZ: Das WSG wurde bereits mehrfach als „Umweltschule“ ausgezeichnet und hat sich kürzlich auch dem Programm „Schools for earth“ von Greenpeace angeschlossen. Welche Vorteile hat die Schule davon?

Sütsch: Der größte Vorteil ist die Vernetzung. Durch die Beteiligung an der Auszeichnung Umweltschule in Europa kommt man leicht in den Austausch mit anderen Schulen und kann sich von deren Projekten inspirieren lassen. Die Zusammenarbeit mit unseren externen Partnern bringt uns durch deren Know-how auf neue Ideen und ermöglicht Kooperationen, die vorher undenkbar waren, wie die Vermittlung von Referenten oder professionellen Fotografen.

MLZ: Welche Entwicklungsschritte sind als nächste in Planung?

Sütsch: Mit einer Broschüre wollen wir das Konzept für anderen Schulen und anderen Interessierte anschaulicher darstellen und zum Nachahmen anregen. Unsere Ziele müssen evaluiert und das Konzept laufend angepasst werden. Mit „51 good things – social and green“ möchten wir das sozial-ökologische Profil der Schule noch stärker sichtbar machen, indem grüne Punkte geschaffen und gute Taten durchgeführt werden. Außerdem besteht ab sofort im Projekt Brücke #14 die Möglichkeit der Zwischennutzung eines großen Firmengebäudes in der Nähe der Schule. Diese Räume möchten wir vor allem mit Themen der Nachhaltigkeit bespielen und z. B. einen Escape Room zum Thema BNE einrichten. Neben den Räumen brauchen wir aber auch Zeit, d. h. es müssen im Unterricht mehr Freiräume zur Beteiligung geschaffen werden. Für die Oberstufe denken wir z. B. an ein eigenes BNE-Profilfach.

MLZ: Was raten Sie anderen Schulen, die sich auch gerne auf den Weg machen möchten?

Sütsch: Besonders wichtig ist meiner Meinung nach die Partizipation. Alle Mitglieder der Schulfamilie sollten das Gefühl haben, dass ihnen nichts von oben „übergestülpt“ wird, sondern dass sie in alle ablaufenden Prozesse und Projekte im Bereich BNE eingebunden werden und die Gelegenheit haben, die weiteren Abläufe mitzugestalten. Außerdem benötigt man ein Team von Lehrkräften, die den Anfang machen und einen engagierten und motivierten Kooperationspartner, der den Prozess nachhaltig unterstützt und begleitet.

MLZ: Welche Unterstützung von Seite des Staates und/oder der Kommune würden Sie sich wünschen, um BNE am WSG noch weiter voranzubringen?

Sütsch: Ich wünsche mir Stunden für mein Team. Außerdem auch Anrechnungsstunden für die Funktion eines BNE-Koordinators. Auch ein Budget zur Umsetzung von Projekten wäre sinnvoll. Der Staat muss die Bedeutung von BNE noch klarer herausstellen und das übergeordnete Bildungsziel verbindlicher einfordern. Es geht hier darum, die Schülerinnen und Schüler handlungsfähig für die Herausforderungen von morgen zu machen.

MLZ: Herzlichen Dank für dieses informative Interview. Ich wünsche Ihnen und Ihrem Team alles Gute für die nächste Zeit und viel Erfolg auf dem weiteren Weg!

Das Interview führte Martin Göb-Fuchsberger, Leiter der Abteilung Schul- und Bildungspolitik im MLLV.