Brennpunkt | Übertritt

Übertritt

Das Wort Übertritt bedeutet nichts anderes als den Wechsel der Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Das klingt brutal und das ist es auch! Besonders für 10jährige Kinder. Der Begriff Übertrittsproblematik ist eine Wortbildung, die beschreibt, dass mit dem Wechsel der Schulform viele Schwierigkeiten verbunden sind. Die Pandemie verstärkt nun die im Übertrittsprozess vorhandenen Ungerechtigkeiten, Ausleseprozesse und Drucksituationen für Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern immens.

Kultusminister Piazolo betont: „Ich weiß, dass sich viele eine schnelle Rückkehr zur Normalität wünschen – Corona lässt dies aber nicht zu. Wir haben intensiv mit der Schulfamilie besprochen, an welchen Stellen wir wie eingreifen. Unsere Maßnahmen schaffen die Grundlage, dass die Schülerinnen und Schüler trotz der außergewöhnlichen Situation faire Bedingungen vorfinden und gut durch das Schuljahr kommen. Falls nötig, werden wir weitere Anpassungen vornehmen.“

Das sieht dann so aus: Die Zahl der Probearbeiten wird erneut reduziert (von 18 auf 14 Probearbeiten), der Termin für das Übertrittszeugnis wird vom 3. Mai auf den 7. Mai 2021 verlegt und die Aufgaben für den Probeunterricht werden an die veränderten Rahmenbedingungen angepasst. Und das soll es gewesen sein? Ernsthaft?  Das einzig Positive an diesen Nachrichten ist, dass die Entscheidungsträger zumindest nachdenken, aber leider wieder einmal nicht bis zum Ende denken! Gerade in einem sehr selektiven Schul- und Bildungssystem wie in Bayern wäre „das zu Ende denken“ wichtig. Sind doch diese wichtigen Übergangsphasen für junge Menschen von allergrößter Bedeutung. So bleibt die Anpassung des Übertrittsverfahrens während der Pandemie durch den Minister nur ein hilfloser Versuch!

Fordern dann Eltern, Lehrkräfte und Verbände gemeinsam Nachzudenken und zur Diskussion auf, dann heißt es aus dem Ministerium; „Die Corona-Krise sollte man nicht ausnutzen, um alte Systemdebatten neu zu entfachen.“ Die Übertritts-Hardliner machen sich trotz Pandemie weiterhin für weniger Gerechtigkeit und mehr Druck und Auslese im bestehenden Übertrittsverfahren stark! Obwohl offensichtlich ist, dass die schon bestehende soziale Ungerechtigkeit durch die Pandemie noch einmal verschärft wird. Gerade Kinder aus bildungsfernen Familien, drohen nun durch die Übertrittsprüfung noch härter ausgelesen zu werden.

Dabei liegen die Argumente für einen starken an den Schülerinnen und Schülern orientierten Veränderungsprozess schon seit Jahren auf der Hand!

Es ist erwiesen, dass ein wie im Übertrittsverfahren erzwungener Wechsel Auflösung von Freundschaften, Versagensängste und Lernhemmungen zur Folge hat. 
Es steht fest, dass sich dieser systemisch erzeugte Druck auf die soziale und emotionale Stabilität, das Selbstwertgefühl und die Lernmotivation der Kinder äußerst negativ auswirkt. 
Es ist Fakt, dass kreatives und ergebnisoffenes Lernen auf der Strecke bleiben! 
Es besteht kein Zweifel, dass sich Persönlichkeit und Selbstvertrauen nicht aus Druck und Auslese entwickeln!

Es wäre nur richtig gewesen gerade in dieser Ausnahmesituation ein Zeichen zu setzen, ja diese Situation zum Vorteil für unsere Schülerinnen und Schüler zu nutzen. Nämlich die Grundlagen des jetzigen Systems aus Zertifizierungen, Klassifizierungen und Ausleseentscheidungen zu ersetzen durch eine sinnvolle Kombination aus Elternwillen und Beratung. Eine große Chance die in dieser Krise liegt, nämlich neue, kreative Lösungen zu versuchen wird liegenlassen. Was hätte es gekostet, das Übertrittsverfahren in einer Art Schulversuch während der Pandemie auszusetzen?  Es wäre ein Zeichen von Verständnis und Empathie seitens des Ministeriums gewesen Eltern und Lehrern auf Basis einer verlässlichen Bildungs- und Erziehungspartnerschaft gemeinsam die besten Entscheidungen für die Ihnen anvertrauten Kinder zu überlassen. Das hätte ein Anstoß und vielleicht ein Türöffner für einen neuen, reformierten Leistungsbegriff zum Wohl der Schülerinnen und Schüler sein können, wie ihn der BLLV/MLLV schon lange fordert.

So aber lässt man das System weiterhin seine Arbeit verrichten. Die eingangs erwähnten moderaten Anpassungen des Verfahrens können nicht ändern was feststeht! 

Dieses System eröffnet auch in der Pandemie keine Lebenschancen, es weist sie zu. Es hält auf Kosten der Schülerinnen und Schüler weiterhin am tradiertem ideologischen Übertrittsstarrsinn fest!

Martin Schmid