Nachgehakt: Schuleingangsuntersuchungen 2021
Sicher ist sicher: Augen und Ohren auf!
Die Schuleingangsuntersuchung (SEU) der diesjährigen Schulanfänger durch das Münchner Gesundheitsreferat (GSR) fand unter extrem erschwerten Bedingungen statt: Während die Corona-Pandemie einen Großteil der Ressourcen band, wurde aufgrund einer konzeptionellen Reform der Untersuchung ein doppelter Jahrgang bewältigt (MLZ berichtete). Zugleich waren 3,25 vollzeitäquivalente Stellen im Schulärztlichen Dienst nicht besetzt – Anlass genug für eine Bestandsaufnahme.
Im Frühjahr hatte das GSR dem MLLV zugesagt, dass die Schuleingangsuntersuchungen bis Ende August abgeschlossen würden. Dieser Fahrplan konnte nicht eingehalten werden. Ein*e Sprecher*in des GSR [MG1] teilt dazu mit: „Alle Kinder, die im September 2021 schulpflichtig geworden sind, sind vom GSR zur Teilnahme an der Gesundheitsuntersuchung eingeladen worden. Einzelne Untersuchungen fanden aus Termingründen noch bis Mitte Oktober 2021 statt. [...] Die Gesundheitsuntersuchungen dieser Kinder sind im GSR abgeschlossen, die Bescheinigungen für die Grundschulen wurden an die Eltern bei der persönlichen Vorstellung ausgehändigt oder per Post verschickt.“
Ob es tatsächlich zutrifft, dass, wie gelegentlich zu hören ist, einige Familien zunächst durchs Raster gefallen sein und keinerlei Anschreiben vom GSR erhalten haben sollen, kann ich nicht überprüfen.
Untersuchung ohne Untersuchung
Nochmal ganz konkret: Viele Kinder konnten in diesem Jahr die „Gesundheitsuntersuchung“ des GSR durchlaufen, ohne dort untersucht worden zu sein. Der aktuellen Situation geschuldet, wurde die SEU für die Einschulung 2021 nämlich dahingehend „modifiziert“, dass Kinder, deren eingesandter U9-Nachweis und Impfstatus der medizinisch-fachlichen Beurteilung im GSR genügten, keinen Termin vor Ort mehr benötigten.
Und das, obwohl das Sozialreferat betont: „Durch die Schuleingangsuntersuchung können gesundheitliche oder entwicklungsbezogene Einschränkungen eines Kindes, die für den Schulbesuch von Bedeutung sind, frühzeitig festgestellt werden. Die Schuleingangsuntersuchung unterscheidet sich insofern wesentlich von den Früherkennungsuntersuchungen (U8 und U9), bei denen vor allem die Erkennung behandlungsbedürftiger akuter und chronischer Erkrankungen im Vordergrund steht.“
1.750 Kinder nicht erreichbar
In der „Rathaus Umschau“ war kürzlich zu lesen, dass 1.750 Kinder trotz dreimaligen (!!!) Anschreibens von Seite des GSR nicht erreicht werden konnten und an das Jugendamt gemeldet wurden, was 13% aller aktuell zu Untersuchenden entspricht. „Der Anteil der Kinder, die nach den gesetzlichen Vorgaben an das Jugendamt gemeldet werden, ist zwar seit Jahren etwa gleichbleibend", so ein*e Sprecher*in des GSR, „jedoch lag sie im Untersuchungsjahr 2020/2021 deutlich höher. Eine Erklärung dafür, dass Eltern sich in diesem Jahr trotz dreimaligem Anschreiben nicht gemeldet haben, kann nur spekulativ sein.“
Enormer Aufwand und rechtliche Probleme für schulische Verwaltungsangestellte
Im Anschluss ist das Jugendamt für das weitere Vorgehen zuständig. Das Sozialreferat erläutert hierzu: „Im Rahmen des gesetzlichen Auftrags schreibt das Jugendamt die Grundschulen an und fragt an, ob das Kind in der Zwischenzeit in der Schule angemeldet wurde. Sollte dies der Fall sein, besteht kein weiterer Auftrag für das Jugendamt.“ Aha. Heißt das mit anderen Worten: Ist das Kind erstmal in der Schule, ist es bis auf sehr viel Weiteres unerheblich, ob es an der SEU teilgenommen hat oder nicht? Obwohl die „Schuleingangsuntersuchung [...] eine Voraussetzung für die schulische Anmeldung“ ist?
Das Sozialbürgerhaus legt die Fälle aber nicht zu den Akten: Die Schulen werden „gebeten“ bei den Eltern Gesundheitsnachweise wie das gelbe Untersuchungsheft mit dem Protokoll der U9 einzufordern. Nota bene: „Das Jugendamt ist weder dem Gesundheitsreferat noch den Grundschulen weisungsbefugt“, so das Sozialreferat.
Die Sache hat auch einen datenschutzrechtlichen Haken: So aussagekräftig diese Protokolle für die Schule auch sein mögen – eine „gesetzliche Grundlage für die Vorlage des Untersuchungsheftes bei der Schule besteht nicht“, stellt ein*e Sprecher*in des GSR auf Nachfrage klar.
Dazu kommen Gespräche mit aufgebrachten Eltern, die Post vom Jugendamt bekommen, obwohl sie bereits im Kontakt mit dem GSR stehen. Auch auf wiederholte Nachfrage war keine konkrete Auskunft darüber zu erhalten, ob das GSR das Jugendamt informiert, falls etwa Eltern verspätet in das Verfahren einsteigen und sich damit die Meldung an das Jugendamt erübrigt hat. Auf jeden Fall entsteht unnötige Mehrarbeit für unsere Verwaltungsangestellten.
Dennoch betonen GSR und Stadtjugendamt unisono die „gute Zusammenarbeit“. Ein*e Sprecher*in des GSR beschreibt die Situation so: „Das GSR pflegt bezüglich der Schuleingangsuntersuchungen seit vielen Jahren einen sehr guten Kontakt mit dem Jugendamt. Die Handhabe von Meldungen und generell der gegenseitige Austausch werden regelmäßig bei Kooperationssitzungen der Fachabteilungen von GSR und Jugendamt besprochen. Dadurch gelingt es, falsche Meldungen an das Jugendamt weitestgehend auszuschließen.“
Wie auch immer: Warum sollen schulische Verwaltungsangestellte, deren Deputate bekanntlich ohnehin viel zu knapp bemessen sind, nebenbei auch noch tausendfach die Arbeit anderer Behörden erledigen? Die SEU ist in dieser Hinsicht ja auch kein Einzelfall. Diese Art von Delegation hat Methode und wurde in der Corona-Pandemie maximal ausgedehnt. Welche Behörde können Schulen eigentlich auf ähnliche Weise zur „Mithilfe“ bei ihren eigenen Aufgaben einspannen?
Fazit und Perspektive
Die gesetzliche Schuleingangsuntersuchung ist ein wichtiger Baustein für Prävention, Kinderschutz und Bildungsgerechtigkeit und liegt damit ganz klar im Interesse unserer Gesellschaft. Zugleich ist ihre Abwicklung für alle beteiligten Stellen vielfach mit enormem Aufwand verbunden – nicht zuletzt, weil die mangelhafte Kooperation vieler Erziehungsberechtigter leider eine Konstante ist.
Diesen Aufwand sollen Behörden stemmen, die alle personell unterversorgt sind und eine Vielzahl anderer Kernaufgaben haben. Das System ist somit dringend reformbedürftig. Es darf nicht länger sein, dass Verwaltungsangestellte Jahr für Jahr die Suppe auslöffeln müssen!
Fest steht auch: Unter den Schulanfängern sind noch immer zahlreiche Kinder, für die keine Bescheinigung des GSR über die abgeschlossene SEU vorgelegt werden kann. Ein erheblicher Anteil dieser Kinder wird auch nicht regelmäßig vom Kinderarzt untersucht, gesundheitliche Probleme etwa im Bereich Sehen und Hören bleiben unentdeckt.
Somit bleibt uns Lehrkräften nichts anderes übrig als diese Kinder bis auf Weiteres selbst noch genauer als sonst zu beobachten und deren Eltern, wo immer möglich, sofort ins Boot zu holen, sobald sich Auffälligkeiten ergeben. Wieder mal eine Aufgabe aus dem medizinischen Bereich, die die Schule „nebenbei“ leisten soll...
Der MLLV dringt auf eine grundlegende Prüfung und Anpassung der Verwaltungsvorgänge rund um die SEU, damit unnötiger Verwaltungsaufwand auf allen Seiten, nicht zuletzt in den Schulsekretariaten, sowie heikle rechtliche Situationen künftig vermieden werden. Grundsätzlich fordern wir von Stadt und Staat, die Schulen vor Delegationen unter dem Deckmantel der „Amtshilfe“ zu schützen!
Martin Göb-Fuchsberger