Einsatz für gute Luft in Münchner Klassenzimmern
Waltraud Lučić kämpft bis zum Ende ihrer Amtszeit für adäquate Lüftungsgeräte
Auch bei der „Innenraumlufthygiene“ werden durch die Corona-Krise chronische Versäumnisse von Politik und Verwaltung offenkundig. Plötzlich wird hitzig über Sinn und Unsinn von Lüftungsgeräten gestritten, Verantwortung hin- und hergeschoben... – derweil wird es kalt in Münchner Klassenzimmern. Anlass genug für den MLLV, mit Expertise zu intervenieren.
MLLV-Vorsitzende Waltraud Lučić betonte Anfang November in einer detaillierten Stellungnahme an den Fraktionsvorsitzenden der Rathaus-SPD, Christian Müller: Es gebe „kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit“.
Lučić begründete diese Position ausführlich: „Das Thema ‚Lüftung der Klassenzimmer‘ ist schon längst ausdiskutiert. Es wurde wissenschaftlich festgestellt, dass es ausreichend ist den CO2-Wert zu beachten [...]. CO2 gilt als Leitkomponente, die weiteren Schadstoffe korrelieren mit CO2. Lüftungsgeräte [...] wurden als sinnvoll und notwendig anerkannt, um die verbrauchte Luft zu ersetzen. Im Klassenzimmer ist nach 20 Minuten der CO2-Wert überschritten. Es hätte also schon vor der Pandemie alle 20 Minuten stoßgelüftet werden müssen. Wir hätten also schon vor Corona Lüftungsgeräte gebraucht. Das sagt uns auch die Arbeitsstättenverordnung. [...] Hätten wir Kuhställe statt Klassenzimmer, würden diese kontrolliert werden. Kinderlern- und -begegnungsstätten unterstehen keiner wirkungsvollen Kontrolle und so auch keinem Schutz. Traurig! Mich ärgert es, wenn fachkompetente Stellen vom „Lüften reicht“ sprechen und dabei wissen, dass sie ein Gesetz (Arbeitsschutzgesetz mit nachgeschalteten Verordnungen) missachten. Klassenzimmer werden zu Kühlstätten, weil Verantwortliche die Gesetzesbücher ignorieren. So kann man vielleicht Geld sparen, aber unser wertvollstes Gut, unsere Kinder, sollte man so nicht hintergehen.“
Mogelpackung aus dem KM?
Öffentlichkeitswirksam stellte das Kultusministerium den Kommunen großzügige Unterstützung bei der Finanzierung von Lüftungsgeräten in Aussicht. Im Kleingedruckten steht allerdings, dass nur Anlagen in Räumen gefördert werden, die weder eine Lüftungsanlage noch Fenster haben, die zum Lüften geöffnet werden können.
Zu Recht konterte die Stadt: „Die Landeshauptstadt München könnte somit das Förderprogramm des Freistaats überhaupt nicht in Anspruch nehmen. Ferner sieht die Stadt den Einsatz von mobilen Luftreinigungsgeräten für Münchner Schulen und Kitas kritisch, da die Geräte keinen nachgewiesenen infektionspräventiven Nutzen haben, ein falsches Sicherheitsgefühl vermitteln und gegebenenfalls kontraproduktiv wirken, da sie bei mangelnder oder falscher Wartung sogar zu, Virenschleudern‘ werden können. Gestützt wird diese Ansicht auch durch aktuelle Expertenmeinungen zahlreicher medizinischer Fachgesellschaften und Behörden“. (Zitat aus der „Rathaus Umschau“ vom 11.11.2020)
Nachhaltigkeit trifft Arbeits- und Infektionsschutz
Es ist allgemein bekannt, dass der Löwenanteil der Energie, die in Gebäuden verbraucht wird, auf die Heizung entfällt. Das absolut nötige, konsequente und wirkungsvolle Lüften bedeutet insbesondere in der kühleren Jahreshälfte eine enorme Energieverschwendung. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass diese organisierte Vorgehensweise gegen die Energieeinsparverordnung bzw. das brandneue Gebäudeenergiegesetz verstößt, alles Umsetzungen des Kyotoprotokolls auf dem Weg zu klimaneutralen Gebäuden im Jahre 2050. Wie soll in der Schule ein verantwortungsvoller Umgang mit den Ressourcen gelehrt werden, wenn gleichzeitig „zum Fenster hinaus“ geheizt wird?
Fest installierte Lüftungsanlagen verbrauchen natürlich auch Energie. Durch Wärmetauscher geht die Heizwärme aber nicht verloren, wenn die verbrauchte Luft nach draußen geleitet wird. In wärmeren Monaten kann auch wieder problemlos durch offene Fenster gelüftet werden, was vielfach auch als deutlich angenehmer empfunden wird als dauerhaft geschlossene Fenster.
Bei mobilen Luftreinigungsgeräten findet hingegen kein Austausch mit der Außenluft statt. Neben den absehbaren Hygienerisiken durch mangelhafte Wartung haben solche Geräte einen weiteren gravierenden Nachteil: Sie können den CO2-Gehalt der Raumluft nicht senken und führen keinen frischen Sauerstoff zu. Somit muss trotz Gerät weiterhin regelmäßig gelüftet werden. Unter dem Strich wird also nur noch mehr Energie verbraucht – ein einziger Schildbürgerstreich!
Somit bleiben die Kommunen weiterhin weitgehend auf sich gestellt, wenn sie mit teuren Luftaustauschanlagen nachhaltig für gute Luft in Klassenzimmern sorgen und längst geltendes Recht umsetzen wollen.
Martin Göb-Fuchsberger
Peter Hammelbacher unterstützt den MLLV seit Jahren als Experte.
Leserbrief des MLLV-Experten Peter Hammelbacher zu „Eiszeit im Klassenzimmer“ von Jakob Wetzel (SZ)
Sehr geehrter Herr Wetzel,
da haben Sie aber ein ganz dünnes Brett gebohrt. Und ob es Alternativen gibt! Wäre jetzt nicht das Jahr 2020 sondern 1960, würde ich Ihnen evtl. zustimmen. Wenn man Schule und Schulgebäude wie im 19. oder 20. Jahrhundert betreibt, von den Lehrmethoden und der technischen Ausstattung gesehen, ist Ihr Standpunkt möglicherweise zutreffend. Aber jetzt ist 2020 und der technische und wissenschaftliche Stand hat sich in den vergangenen Jahrzehnten weiterentwickelt.
Leider ist dieses Wissen bis heute nicht bei den Verantwortlichen angekommen und so dämmert das System Schule weiterhin im Dornröschenschlaf vor sich hin. Hoffentlich kommt in den nächsten Jahrzehnten mal ein kühner Prinz, der die Verantwortlichen wachküsst. Wer nicht so lange warten möchte, dem empfehle ich folgende Literatur:
https://www.dguv.de/de/mediencenter/pm/pressearchiv/2020/quartal_4/details_4_410185.jsp
https://publikationen.dguv.de/regelwerk/dguv-regeln/3581/branche-schule
https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/publikation/long/3689.pdf
Diese Vorschriften und Regeln haben alle Vorgänger, d.h. das Veröffentlichungsdatum sagt nichts über den Zeitpunkt des Erkenntnisgewinns aus.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Hammelbacher