Kommentar Nicht ganz in Champagnerlaune

Kleine Nachlese zu 10 Jahren „Mittelschule“

Bestimmt haben Sie es gesehen: „10 Jahre Mittelschule in Bayern – ein Erfolgsmodell feiert Jubiläum“ titelte die Hauspostille des KM „Schule & wir“ auf ihrer jüngsten Ausgabe. Nur für den Fall, dass Sie nicht reingelesen haben sollten: Im Heft wurde die Hauptschulreform auch entsprechend gefeiert.

Kultusminister Michael Piazolo ließ es sich nicht nehmen, die Vorzüge der bayerischen Mittelschule auf Hochglanz zu präsentieren. So stellte er etwa vollmundig fest: „Die Mittelschule fördert beim Wissenserwerb alle Schüler individuell und differenziert.“

Sicher ist: Dieses Ziel verfolgen alle, die sich an unseren Mittelschulen tagtäglich für ihre Schülerinnen und Schüler „alle Haxn ausreißen“, wie es Simone Fleischmann kernig auf den Punkt bringt. Und bei Weitem nicht nur beim Wissenserwerb, sondern vor allem auch persönlich, pädagogisch, psychologisch. Wir sind mit Leib und Seele Lehrer, uns liegen unsere Schülerinnen und Schüler am Herzen. Aber können wir unser Ziel wirklich erreichen, wenn Migration und Integration, Inklusion und Ganztag immer mehr von uns abverlangen, gleichzeitig dauerhaft zu wenig Personal zur Verfügung steht und eine Notmaßnahme die andere ablöst?

Dass die bayerische Mittelschule seit Jahren auf Verschleiß fährt, ist nicht neu. Damals, in der Opposition, sagte das auch Piazolo noch. Der Minister hingegen sieht in bester Feierlaune „die bayerische Mittelschule (...) auch in Zukunft hervorragend aufgestellt.“

Natürlich ist ein Jubiläum kein Anlass, um den Jubilar „schlecht zu reden“. Aber eine etwas differenziertere Bilanz hätte einem Professor schon gut angestanden, der sein Publikum ernst nimmt. Piazolo hat auch die Gelegenheit verstreichen lassen klar zu machen, dass er durchaus andere Vorstellungen von guter Mittelschule hatte als seine Vorgänger von der CSU.

Augen zu und durch?

Dass es an der bayerischen Mittelschule – längst auch außerhalb von Großstädten wie München – nicht rund läuft, ist zwar auch eine Folge jahrelang verfehlter Personalplanung. Aber gibt es wirklich nur deshalb viel zu wenige junge Leute, die ein Studium für das Lehramt an Mittelschulen antreten, weil bisher versäumt wurde sie für die „Lebendigkeit dieses Berufs und seiner Krisensicherheit“ „zu begeistern“, wie Piazolo in seinem Rundschreiben vom Januar meint? Wie viele Zweitqualifikanten sind so begeistert, dass sie unbedingt an der Mittelschule bleiben wollen? Und wie sieht es mit der Begeisterung der Kolleginnen und Kollegen aus der Grundschule aus, die reihenweise die „Lebendigkeit“ des Alltags an der Mittelschule persönlich kennenlernen... „dürfen“?

Hält sich die Begeisterung für diesen Beruf nicht vielleicht auch deshalb in Grenzen, weil es an der bayerischen Mittelschule im Vergleich zu allen anderen Schularten der Sekundarstufe für die meisten Unterrichtsstunden am wenigsten Gehalt gibt und für vergleichbare Zusatzaufgaben sowie Funktionsstellen beschämend wenige Anrechnungsstunden?

Ihren Schülerinnen und Schülern hat die bayerische Mittelschule sicher einiges zu bieten, was es in den anderen Schularten so nicht gibt, wie den praktischen Schwerpunkt, die intensive Berufsorientierung oder auch das Klassenlehrerprinzip. Begeisterte Mittelschüler gibt es trotzdem nur wenige. Wer kann, verlässt die Mittelschule so schnell wie möglich und hat seit dem Ausbau der Wirtschaftsschule auch noch eine Gelegenheit mehr dazu.

Die Migrationsklausel, die vor einigen Jahren auf Initiative des MLLV eingeführt wurde, hat der Mittelschule vorübergehend etwas Entlastung verschafft. Inzwischen wird die Regelung immer weiter verwässert, Schülern und Lehrkräften werden wichtige Ressourcen entzogen.

Nur am Rande: Wenn Grundschullehrkräfte in Zukunft damit rechnen müssen, auch in der Mittelschule eingesetzt zu werden um den chronischen Personalnotstand dort aufzufangen, wird sich das strukturelle Nachwuchsproblem auf die Grundschule ausweiten.

Wer nicht sehen will, dass nach den Schönheitsreparaturen vor zehn Jahren zumindest eine Kernsanierung dringend nötig ist, fährt die bayerische Mittelschule endgültig an die Wand.

Martin Göb-Fuchsberger