Globales Lernen und „Fair Trade“ in der Schule

Vielfältige Unterstützung für Münchner Lehrkräfte und Schüler vorhanden

Mit diesem Beitrag setzen wir unsere kleine Serie zum Schwerpunkt „Fair Trade“ fort. Diesmal stehen Herausforderungen und Perspektiven Globalen Lernens sowie konkrete Unterstützungsangebote für die pädagogische Arbeit vor Ort im Mittelpunkt.

MLLV-Abteilungsleiter Martin Göb-Fuchsberger tauschte sich dazu mit Sylvia Baringer von der Fachstelle Eine Welt im städtischen Referat für Klima- und Umweltschutz (RKU), Ron Otto vom Pädagogischen Institut - Zentrum für Kommunales Bildungsmanagement (PI – ZKB) und Raphael Thalhammer, Bildungsreferent für Globales Lernen beim Nord Süd Forum München e.V. aus.

Gut vernetzt: Sylvia Baringer (RKU)  (Foto: privat)

Ron Otto (PI-ZKB) hält Wissen und Methoden für Lehrkräfte und Schüler*innen parat. (Foto: privat)

Für Raphael Thalhammer (Nord Süd Forum) sind ethische und emotionale Zugänge besonders wichtig. (Foto: privat)

MLZ: „Globales Lernen“ und damit auch „Fairer Handel“ sind neben der Umweltbildung und der Partizipation zentrale Säulen im UNESCO-Konzept der „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) und ebenso Teil des LehrplanPLUS, werden aber oft deutlich weniger mit Nachhaltigkeit in Verbindung gebracht. Warum?

Thalhammer: Das Konzept und die Idee der Nachhaltigkeit stammt ja ursprünglich aus der Forstwirtschaft und versteht sich als Handlungsprinzip zur Ressourcen-Nutzung. Es geht also zunächst darum, auch den nächsten Generationen die Chancen und Rahmenbedingungen für ein gutes und gelingendes Leben zu erhalten - im Kern: um ein „enkelgerechtes“ Handeln der jetzigen Generationen. Das eigene Handeln am Wohle nachfolgender Generationen auszurichten erscheint bereits schwierig und fordert die eigene Empathiefähigkeit schon sehr stark heraus. Mit der Ansprache „Es geht um unsere und eure Enkel!“ können sich aber doch die meisten identifizieren.

Anders verhält es sich meiner Meinung nach leider mit der Solidarität und Empathiefähigkeit mit ausgebeuteten Menschen in anderen Regionen oder gesellschaftlichen Milieus. Es handelt sich hierbei nicht um „unsere“ Enkel, sondern um Menschen, die fernab unserer Alltagswahrnehmung, im Zuständigkeitsbereich anderer Regierungen eine Rolle im Welthandelssystem erfüllen, auf deren Kosten Teile des Wohlstands der Gesellschaften des Globalen Nordens aufbauen. Der Soziologe Stephan Lessenich skizziert dies sehr anschaulich in seinem Werk „Neben uns die Sintflut: Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis“. Natürlich müsste, sollte und wollte man gerne mehr intragenerationale Gerechtigkeit praktizieren. Aber die eigenen Privilegien, der eigene Wohlstand, die Komplexität der Situation - es gibt viele Gründe, die diese Form der Solidarität viel schwieriger erscheinen lässt. Die Verhandlungen und das Ergebnis zum jüngst verabschiedeten deutschen Lieferkettengesetz sind ein guter Beleg dafür.

„Nachhaltige Entwicklung“ wird ihrem Anspruch nur dann gerecht, wenn wir unseren Blick gleichermaßen auf alle Enkel wie auch auf die bereits lebenden Menschen dieser Welt und deren Recht auf ein gutes Leben richten - nicht nur aus moralischen Beweggründen, sondern auch aus realpolitischer Analyse. Zunehmend mehr Menschen weltweit verlieren ihre Existenzgrundlage. So hoch und effektiv kann keine Mauer und kein Frontex-Mandat sein, es werden massive gesellschaftliche Veränderungsprozesse auf uns zukommen.

Mit Globalem Lernen wollen wir Menschen zu Fragen der globalen Gerechtigkeit sensibilisieren und einladen zu überlegen, wie wir alle selbst unser Handeln nicht nur enkelgerecht gestalten, sondern mit dem gleichen Anspruch Solidarität mit ausgebeuteten und diskriminierten Menschen unserer Generation praktizieren können. Die Frage nach guten, existenzsichernden Arbeitsbedingungen weltweit ist dabei ein sehr zentrales Thema. Und genau dafür steht der Faire Handel.

Was ist Globales Lernen?

Globales Lernen bedeutet Bildungsarbeit, die den Blick und das Verständnis der Menschen für die Realitäten der Welt schärft und sie zum Einsatz für eine gerechtere, ausgewogenere Welt mit Menschenrechten für alle aufrüttelt. Globales Lernen umfasst entwicklungspolitische Bildungsarbeit, Menschenrechtserziehung, Nachhaltigkeitserziehung, Bildungsarbeit für Frieden und Konfliktprävention sowie interkulturelle Erziehung, also die globalen Dimensionen der staatsbürgerlichen Bildung.

(Quelle: Maastrichter Erklärung zum Globalen Lernen, https://www.eineweltnetzwerkbayern.de/fileadmin/assets/Globales_Lernen/Maastrichter_Erklaerung_zum_Globalen_Llernen.pdf

Die Kultusministerkonferenz hat 2015 den für alle Schularten verbindlichen „Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung" aktualisiert. Dieser steht hier zum Download bereit: https://www.lehrplanplus.bayern.de/zusatzinformationen/material/absatz/24777/uebergreifende-ziele/grundschule

MLZ: Welche Zugänge sind Ihrer Erfahrung nach besonders geeignet, um solche Fragen in der Schule zu thematisieren?

Thalhammer: Die aktive Auseinandersetzung mit Globalisierungsprozessen soll dazu motivieren, im eigenen Lebensumfeld einen Beitrag zu einer gerechten Weltentwicklung zu leisten. Das Problem ist nur: Die Beschäftigung mit diesen Fragen bringt eine moralische Dimension mit sich, die allen Beteiligten höchst unangenehm ist. Vor allem wenn es um die Situationsanalyse geht. Vom Frühstück über den Kleiderschrank bis hin zu IT, Wohnungseinrichtung und der Gestaltung öffentlicher Plätze. Überall begegnen uns Kinderarbeit und ausbeuterische Arbeitsbedingungen, gepaart mit mindestens mittelkomplexen Lieferketten und ausdifferenzierten Verantwortlichkeiten - die wir als Unternehmer*innen, Arbeitnehmer*innen, Konsument*innen und Bürger*innen tolerieren und von denen wir (z. B. im Sinne von günstigen Preisen) profitieren. Diese Analyse ist unangenehm.

Daher ist es natürlich herausfordernd diese Themen so zu adressieren, dass sich die Schüler*innen nicht mit der Moralkeule erschlagen fühlen, total frustriert und überfordert in Ohnmachtsgefühlen versinken oder stinksauer ob des Angriffs auf die eigene Lebensweise reagieren. Da gibt es zum einen niederschwellige produktbezogene Zugänge („Die Reise einer Jeans“, „Woher kommt die Schokolade?“ etc.). Hierbei werden die Probleme in den globalen Produktionsketten und konkrete Handlungsmöglichkeiten diskutiert. Im Wesentlichen geht es dabei um die Förderung eines kritischen Verbraucher*innen-Bewusstseins. Abseits individueller Kaufentscheidungen scheint mir die Ermöglichung von persönlichen Zugängen und die Reflexion der eigenen gesellschaftlichen Positionierung mindestens genauso wichtig, z. B. durch die Auseinandersetzung mit Fragen wie: „Was bedeutet für mich Gerechtigkeit? Wo erlebe ich Ungerechtigkeit in meinem Umfeld? Wo erlebe ich globale Ungerechtigkeiten, wo trage ich vielleicht selber dazu bei?“

Dazu gehört auch eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Normen und Werten: „Welche Werte sind mir eigentlich wichtig? Wo und wie setze ich diese in meinem Leben um? Wo (und warum) gelingt mir das nicht? Wer und was beeinflusst mich in meinen Werten und in meinem Handeln? Mit welchem Interesse?“

Schüler*innen sind meiner Erfahrung nach total offen für die Auseinandersetzung mit diesen Fragen, wenn sie in einem angemessenen, vertrauensvollen und authentischen Rahmen passiert.

Otto: Nachhaltige Entwicklung bedeutet, dass die heute lebenden Menschen nicht auf Kosten zukünftiger Generationen (intergenerational) oder Menschen in anderen Teilen der Welt (intragenerational) leben. Schon immer ging es bei Nachhaltiger Entwicklung auch ganz zentral um die Verantwortung der Menschen in den Industrienationen dafür, was ihr Konsumverhalten auch in anderen Teilen der Welt zur Folge hat - z. B. Ressourcenverbrauch, Arbeitsbedingungen und Löhne, Abfall. Das war schon Thema der UN-Weltkonferenz in Rio de Janeiro 1992, bei der der Begriff „Nachhaltige Entwicklung“ erstmals eine breitere Öffentlichkeit fand.

MLZ: Was empfehlen Sie engagierten Kollegien, die den Aspekt „Fair Trade“ im Alltag an ihren Schulen stärker verwirklichen wollen?

Otto: Es ist wichtig, zunächst das eigene Konsumverhalten zu reflektieren und sich der eigenen Vorbildfunktion bewusst zu sein. Das Thema „Fair Trade“ sollte dabei immer auch im globalen Kontext betrachtet werden. Mit Schüler*innen können dann zum Beispiel, davon ausgehend, konkret in der Schule verwendete Produkte und ihre Herkunft betrachtet werden und nach Alternativen z. B. für Kaffee im Lehrerzimmer, Rosen bei SMV-Aktionen zum Valentinstag, Schokoriegel im Pausenverkauf, Bekleidungsstücke oder Stofftaschen mit dem Schullogo etc. gesucht werden. Dabei sind Partizipation der Schüler*innen, Teamarbeit im Kollegium, fächerübergreifendes Arbeiten und Einbettung in einen Schulentwicklungsprozess wesentliche Gelingensfaktoren.

MLZ: Welche Unterstützung bietet das Pädagogische Institut engagierten Schulen beziehungsweise Lehrkräften im Bereich „Fairtrade“?

Otto: Das Pädagogische Institut des Referats für Bildung und Sport bietet für städtische und staatliche Münchner Schulen folgende Unterstützung an:

  • kostenlose Fortbildungen für Lehrkräfte, z. B. „Fairen Handel in die Schule bringen“ (speziell für Primar- bzw. Sekundarstufe, PBP751), „Regenwald-Schatzkammer der Erde“, „Einführung in die Arbeit mit der Methodenkiste ‚Globales Lernen‘“, „Alternativer Stadtrundgang: Orte des Wandels in München“, zu Systemdenken, SDGs, (Sustainable Development Goals), Welthandel und Konsum (bei Bedarf für städtische Schulen auch schulintern)

  • Schüler*innenprogramm von Workshops bis hin zu mehrtägigen Veranstaltungen

Hier https://www.pi-muenchen.de/bne-in-schulen/ erhalten Sie detaillierte Informationen zu den Angeboten des Pädagogischen Instituts.

Mit der Sachbearbeitung ist Birgit Desiderato betraut. Sie können sie unter pizkb.polit.rbs@muenchen.de erreichen.

MLZ: Welche Unterstützung bietet das Nord Süd Forum e.V. interessierten Schulen und Lehrkräften im Bereich „Fair Trade“?

Thalhammer: Globales Lernen ist seit Gründung des Nord Süd Forums ein zentraler Bestandteil unserer Arbeit. Heute gibt es den „Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung“ der Kultusministerkonferenz sowie zahlreiche Institutionen, die das Globale Lernen voranbringen. Zu dieser positiven Entwicklung konnten wir im Münchner Raum maßgeblich beitragen.

Als Eine-Welt-Station...

  • beraten wir zu Fragen rund um das Globale Lernen,

  • vermitteln Workshopangebote und fachkundige Referent*innen und

  • verleihen vielfältige Bildungsmaterialien an Lehrkräfte (aller Schularten) und außerschulische Multiplikator*innen.

  • Darüber hinaus organisieren wir Aktionswochen, unterstützen bei Projekttagen und

  • bieten regelmäßig (auch schulinterne) Fortbildungs- und Qualifizierungsangebote an.

  • Außerdem begleiten wir Schulen bei dem Prozess Globales Lernen und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) im Schulprofil und auf allen Ebenen der Schulentwicklung zu verankern (Whole Institution Approach).

  • Besondere Highlights sind immer die Begegnungen mit Gästen aus dem Globalen Süden, die wir mit und für Schulen organisieren.

Hier https://www.nordsuedforum.de/beratung erhalten Sie detaillierte Informationen zu den Angeboten des Nord Süd Forum e. V..

MLZ: Welche Unterstützung bietet das RKU interessierten Schulen und Lehrkräften im Bereich „Fair Trade“?

Baringer: Das Referat für Klima- und Umweltschutz, konkret die dort angesiedelte Fachstelle Eine Welt, ist in dem stadtweiten Bündnis Fairtrade Stadt München gut vernetzt mit dem Nord Süd Forum München e.V., dem Pädagogischen Institut - ZKB, Fairhandelsorganisationen und Weltläden, Kirchen und Jugendverbänden.

Für den schulischen Bereich und die direkte Unterstützung von Lehrkräften ist das PI - ZKB Ansprechpartner. Über das PI werden gemeinsam Fortbildungen für Lehrkräfte angeboten, aber auch außerschulische Bildungsangebote zum Thema Fairer Handel konzipiert und mit unterschiedlichen Kooperationspartner*innen durchgeführt. Auch hier können natürlich Lehrkräfte neben anderen Multiplikator*innen teilnehmen. Das Thema nachhaltige Beschaffung spielt auch eine Rolle.

MLZ: Herzlichen Dank für diese wertvollen Informationen und alles Gute für Ihre weitere Arbeit! An dieser Stelle möchte ich noch einen wichtigen Aspekt hervorheben, den Dr. Kopatz vom Wuppertal Institut im Rahmen der LMU-Ringvorlesung zu BNE in den Fokus genommen hat (vgl. MLZ 4/21): Neben Fragen zu eigenen Werthaltungen und entsprechenden persönlichen Handlungsmöglichkeiten in Bezug auf nachhaltigen und global gerechten Konsum können politische Aktivitäten von Schüler*innen im Umfeld ihrer Schule sehr effektiv und damit auch ermutigend für weitere Schritte sein, z. B. das Einfordern von Produkten aus „Fairem Handel“ an der Imbissbude und im Einzelhandel mit Beteiligung der lokalen Presse.

Web-Tipp

Gutes Unterrichtsmaterial im Portal Globales Lernen

Das Portal Globales Lernen der Eine Welt Internetkonferenz (EWIK) ist das zentrale deutschsprachige Internetangebot zum Globalen Lernen und zur Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE).

Es ermöglicht einen schnellen und übersichtlichen Zugang zu Informations- und Bildungsangeboten und bietet einen umfangreichen kostenlosen Service zu Online-Bildungsmaterialien, Aktionen, Veranstaltungen und Hintergrundinformationen – für alle Altersgruppen und Bildungseinrichtungen. Für die konkrete Unterrichtsvorbereitung und -gestaltung hält eine übersichtliche Datenbank ausgewählte und geprüfte Unterrichtsmaterialien zum kostenlosen Download bereit. Darüber hinaus finden sich auf dem Portal Informationen zu Aktionen und Kampagnen, Veranstaltungen, Methodenhandbücher sowie Hinweise zur Finanzierung von Projekten und zur Gründung von Nord-Süd-Partnerschaften.

www.globaleslernen.de