Demokratie erleben in der Schule | Neuer Arbeitskreis „Demokratie“ im MLLV

Auch wir, der neu gegründete Arbeitskreis Demokratie haben es gespürt. Dieses Unbehagen über den Zustand unserer Demokratie. Auch wir begreifen uns als einen Teil der sich sammelnden und besorgten Demokraten, die etwas tun wollen, um das zu pflegen, was unzerstörbar zu sein schien: die gewachsene politische Kultur des Nachkriegs-Westens. Wir wollen Haltung zeigen und Verantwortung als Pädagogen übernehmen, gegen ein Phänomen, das doch sehr plötzlich, aber sicher nicht ohne Gründe daherkam. Was ist passiert?

Am auffälligsten erscheinen die Tabubrüche der letzten Jahre im politischen Diskurs der Mächtigen. Voran der US-Präsident, der in einem ständigen, über Twitter sich verbreitenden Bewusstseinsstrom, die Absage der einzigen demokratischen Führungsmacht des Westens an den Rest der Welt verkündet. Die in vielen Jahrzehnten auch von internationalen Kontrahenten aufgebaute multilaterale Sphäre des Politischen wird durch den „Deal“ verdrängt. Das vernünftige argumentierende Abwägen der Interessen verschiedener Staaten, das „Bohren dicker Bretter“ um vernünftiger Verträge und Übereinkünfte willen, wird durch ein pseudo-cleveres Schachern und Pokern für den eigenen kurzfristigen Vorteil ersetzt. Öffentlichkeitswirksame Kraftmeierei ersetzt werbende Rhetorik. Dabei wird für den Preis des schnellen Effekts auch gegen Minderheiten und Benachteiligte gewettert. Wahrheit verliert an politischem Wert. An deren Stelle tritt das Verleumden des sogenannten „verlogenen politischen Establishments“.

Europa hat so seinen demokratischen Mentor verloren. Aber es kommt schlimmer. Mit Großbritannien verlässt ein weiteres historisches Vorbild für unsere Demokratie nicht nur die Europäische Union, sondern auch den Traum vom gemeinsamen europäischen Projekt. Man will unter sich bleiben. Jetzt demonstriert die britische Jugend gegen diesen Auszug, bei der entscheidenden Wahl zog sie aber den Genuss des schönen Tages der Wahlbeteiligung vor. In Polen und Ungarn wird der Rechtsstaat zusehends demontiert, die leitenden Parteien gewinnen aber trotzdem mit großer Mehrheit ihre Wahlen. Krisenszenarien, medial inszeniert und teilweise selbst provoziert, helfen den Mächtigen an der Wahlurne Sieger zu bleiben.

Und wie steht es mit den anderen nahen oder fernen globalen Nachbarn? Die Türkei verewigt einen dilettantischen und schon längst niedergeschlagenen Putschversuch zu einem Bürgerkrieg, der die Macht des Präsidenten stabilisiert. Ein Großteil der türkischen Wähler, auch der in Deutschland lebenden, honoriert dies mit seiner Stimme. Die Verfolgung und Inhaftierung kritischer Stimmen der Presse wiegt dabei nicht so viel wie nationaler Glanz und historische Großreichnostalgie. Wer dagegen aufbegehrt, gerät in Gefahr als Terrorist denunziert zu werden. Währenddessen steigt China sowohl ökonomisch wie politisch zur Weltmacht auf. Das alles ohne einen Funken Demokratie zu versprühen. Enormes wirtschaftliches Wachstum scheint also auch in Diktaturen prächtig zu funktionieren. Die liberale Erzählung vom Siegeszug der Demokratie überzeugt immer weniger. Man glaubt ihr vielerorts nicht mehr.

Wie sieht es nun in unserem Land aus? Eine völkisch argumentierende Partei hat Einzug in alle Parlamente des Landes genommen. Sie feuert den Geist der Ausgrenzung und des Rassismus an und dies unter dem Vorwand eine christlich-abendländische Leitkultur zu retten. Die etablierten Volksparteien verlieren an Bedeutung. Plumper Populismus wird teilweise mit den gleichen Mitteln bekämpft, wenn es als opportun erscheint.

Welche Generation wächst hier hinein? Viele Jugendliche bewegen sich in einer völlig fragmentierten Öffentlichkeit, meist online. „News“ werden unkritisch übernommen. Verschwörungstheorien gedeihen prächtig in Chat-Echoräumen. Youtube ersetzt den kritischen Blick auf die Welt. Rapper, die in die Kiste der Vorurteile greifen, werden zu Leitfiguren und Orientierungshelfern. Sie bieten fragwürdige Rollenbilder besonders für die Jungen an. Politik wird als langweilig oder zu komplex wahrgenommen. Allenfalls krachende Konflikte finden jugendliches Interesse. Freiheit wird konsumistisch, aber oft nicht als lebensnotwendig verstanden.

Was ist also zu tun? Wie können wir Pädagogen hier gegensteuern? Wie lässt sich Demokratie üben? Woher kommen grundlegende demokratische Werte und das Mindestmaß an Konsens und Gemeinsinn , der unsere Demokratie leben und gedeihen lässt?

Hier kommt die Schule zum Zuge. Es ist Ziel unseres Arbeitskreises sowohl methodisch wie auch in kritischer Verbandsperspektive zu erkunden, was notwendig ist, um diesen demokratischen Sinn bzw. die demokratische Kompetenz Schülern anzuerziehen und mit ihnen zu üben.

Dabei ist Folgendes notwendig:

Es bedarf einer Klärung und Schärfung der Begriffe. Demokratie ist nicht gleich Demokratie. Auch in Ungarn und in der Türkei wird gewählt und Wahlbeobachter bestätigen, dass es mit rechten Dingen zugeht. Aber hier liegt nicht das Problem. Diese Demokratien funktionieren, aber auf ihre Weise. Die liberalen Grundlagen der westlichen Nachkriegsdemokratie spielen dort nur eine verminderte Rolle. Menschenrechte gelten nicht mehr für alle. Wesentliche Grundrechte wie Presse- und Versammlungsfreiheit werden demontiert. Die Öffentlichkeit wird durch staatsnahe Medien manipuliert oder fehlinformiert. Volksherrschaft wird als Herrschaft der Mehrheiten verstanden und inszeniert, bei der die Minderheit der Häme und Repressalien der Vielen preisgegeben wird. Es handelt sich dabei um eine autoritäre, manipulativ gesteuerte Demokratie. Sie ist gänzlich verschieden von der liberalen der Nachkriegszeit, die auf den unveräußerlichen Menschenrechten gegründet wurde. Schule ist hier gefordert.

Dies bedingt auch die Frage nach den Rahmenbedingungen, wie z. B. Stundendeputate für die zur politischen Teilhabe befähigenden Fächer. Wer am Sonntag das Lied von der Bedeutung der Demokratie singt und am Montag die Geschichtsstunden in der Sekundarstufe zusammenstreicht, sägt an dem Ast, auf dem er sitzt.

Es geht darum, bewährte Methoden und Konzepte der Demokratiepädagogik im Alltag der Münchner Schulen zu verankern, wie z. B. den Klassenrat oder eine aktive SMV.

Grundlegend für ein menschenfreundliches Zusammenleben sind Gemeinsinn und Konfliktfähigkeit, derer es bedarf, um in einer nicht konfliktfreien, aber konfliktgehegten politischen Kultur zusammenleben zu können.

Dazu muss eine ausgeprägte emotionale Intelligenz und kommunikative Kompetenz entwickelt werden.

Nicht zuletzt muss auch darüber diskutiert werden, was die Rolle des verbeamteten Lehrers in der Demokratie ist. Muss er wirklich alles, wie im Beutelsbacher Konsens gefordert, kontrovers darstellen, was kontrovers diskutiert wird? Junge Menschen brauchen Vorbilder, auch was demokratischen Sinn und Eintreten fürs Grundsätzliche betrifft. Wie weit geht die Neutralität im Klassenzimmer, auch gegenüber fundmentalen Gegnern von Freiheit und Gleichheit?

Es braucht eine stärkere Verankerung der liberalen Erzählung in den Lehrplänen und im Schulleben. Eine Geschichte der Demokratie, des Freiheitswillens und des Friedens muss den Schülern erzählt und erklärt werden. Nur wenn eine solche in den Köpfen der Bürger lebt, besitzt die Demokratie die Kraft, die sie braucht, um sich gegen ihre Verächter und Unterdrücker zu wehren. Die Generation, die diese Geschichte erzählen konnte, weil sie auch das Gegenteil kennen gelernt hat, stirbt langsam aus.

Der Arbeitskreis freut sich über weitere interessierte Teilnehmer.

Kontaktaufnahme über ludwig.ziesche(at)gmx.de

Verfasser des Textes: David Goldner, Philipp Goldner, Gabriele Groher, Martin Göb, Laura Lindner, Sarah Nürnberger, Markus Vetterl, Ludwig Ziesche