Verantwortung lernen/Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) konkret

Reparieren macht Schule: Handbuch für Schulen vorgestellt

Wertvolle Tipps aus der Schwabinger Schüler-Reparaturwerkstatt

Im Rahmen einer Tagung wurde das Handbuch „Reparieren macht Schule – ein Praxisleitfaden“ vorgestellt, Erfahrungsschatz der „Schüler-Reparaturwerkstatt“ an der Rudolf-Steiner-Schule München-Schwabing. Diese Werkstatt ist bisher bundesweit einmalig.

Unter dem Motto „Reparieren statt wegwerfen!“ reparieren Schülerinnen und Schüler der Klassen 5 bis 11 regelmäßig in verschiedenen Gruppen kostenlos defekte Gegenstände ihrer Kundschaft. Sie gehen nach der Methodik des entdeckenden und erfahrungsgeleiteten Arbeitens und Lernens vor und werden dabei vom Initiator, dem Physik- und Mathematiklehrer Walter Kraus, sowie von ehrenamtlichen Reparaturanleiterinnen und -anleitern unterstützt. Seit dem Start vor zwei Jahren wurden mehr als 300 Reparaturen, vor allem an Elektro- und Elektronikgeräten, erfolgreich durchgeführt. Vor kurzem hat zusätzlich eine Holz-Reparaturwerkstatt die Arbeit aufgenommen.

Reparieren kann Schule machen

Ziel des Handbuchs ist es, möglichst viele weitere Schulen zum Aufbau eines solchen Angebots zu inspirieren. Dafür bietet es

  • die Darstellung des Konzepts,
  • Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung zu den pädagogischen Wirkungen und vor allem
  • praxisgerechte Hinweise zu Aufbau und Organisation einer Schüler-Reparaturwerkstatt, zu Sicherheitsaspekten, Ausstattung und Rahmenbedingungen.

„Ich wünsche mir, dass dieses Handbuch Schule macht“, schreibt Wolfgang M. Heckl, Direktor des Deutschen Museums, in seinem Geleitwort. Und Professor Harald Lesch resümiert: „Dinge reparieren, das heißt, die Welt ein klein bisschen besser machen – und wer das möchte, der muss dieses Buch lesen.“

Die Tagung wurde in Kooperation mit dem Abfallwirtschaftsbetrieb der Stadt München durchgeführt. Kommunalreferentin Kristina Frank betonte in ihrem Grußwort die Bedeutung der Schüler-Reparaturwerkstatt: „Sie ist gut für die Persönlichkeits- und Bewusstseinsbildung und hilft den Schülerinnen und Schülern, neue Fähigkeiten zu entwickeln. Außerdem ist sie in ökologischer Hinsicht gut für die Umwelt, da sie die Wiederverwendung und damit die Abfallvermeidung fördert und so zum Klima- und Ressourcenschutz beiträgt. Sie ist daher nicht nur pädagogisch, sondern auch ökologisch äußerst wertvoll.“

Wolfgang Schäfer von der Veolia Stiftung schloss sich dieser Einschätzung an und ließ Taten folgen: Er überreichte der Schüler-Reparaturwerkstatt einen Scheck über 20 000 Euro. Initiator Walter Kraus stellte die Kerngedanken des Projekts vor, Schülerinnen und Schüler schilderten ihre praktischen Erfahrungen. Professor Michael Brater vom Münchner Forschungs- und Beratungsinstitut GAB erläuterte in seinem Vortrag eingehend die pädagogischen Aspekte des Projekts. Er hob besonders hervor, dass die Schülerinnen und Schüler maßgebliche Handlungskompetenzen erwerben, durch Schlüsselerfahrungen wie „Ich kann etwas verändern“ und „Es ist wichtig, dass es mich gibt“ Selbstwirksamkeit erleben und lernen, Verantwortung zu übernehmen.

In Workshops konnten die Teilnehmenden die Schüler-Reparaturwerkstatt in der Praxis erleben. Es bildete sich eine Gruppe, die Strategien entwickelt, wie Schulen für diese innovative Idee gewonnen werden können.

Walter Kraus


Auf Youtube stellt sich die Schüler-Reparaturwerkstatt mit einem Video vor, abrufbar unter www.youtube.com/watch. Weitere Informationen erhalten Sie unter www.schueler-reparaturwerkstatt.de.

Sie können das Handbuch unter www.schueler-reparaturwerkstatt.de/index.php/praxisleitfaden.html kostenlos herunterladen. Die digitale Fassung ist programmiert, d.h. man kann damit über die Inhaltsangabe zu den einzelnen Kapiteln wechseln.

Die Druckversion des Handbuchs ist zum Preis von 15 Euro (inkl. Versand) unter reparatur@waldorfschule-schwabing.de bestellbar.


Schüler-Reparaturwerkstatt: FAQ

Wie hoch ist der Zeitaufwand?

Die Rudolf-Steiner-Schule in München-Schwabing hat im Jahr 2016 die Schüler-Reparaturwerkstatt als klassenübergreifendes Angebot im Wahlpflichtfachbereich für die 9. und 10. Klasse begonnen, als zwölfwöchigen Kurs mit jeweils drei Doppelstunden pro Woche. Seit dem Schuljahr 2016/2017 wird die Schüler-Reparaturwerkstatt auch in der Ganztagsschule für die Klassen 6 bis 7 als durchgängiger Kurs mit einer Doppelstunde an einem Nachmittag über das ganze Schuljahr angeboten. Zusätzlich wurde die Schüler-Reparaturwerkstatt auch im Pflichtfach Technologie für die 11. Klasse eingeführt. Hier reparieren jeweils zwölf Jugendliche vier Schulstunden am Stück an einem Tag in der Woche. Doppelstunden (90 Minuten) sind nach den Praxiserfahrungen unumgänglich, weil das Öffnen des Geräts, die Fehlersuche, evtl. die Ersatzteilbestellung sowie das Aufräumen des Arbeitsplatzes viel Zeit brauchen.

Wie muss die Werkstatt ausgestattet sein?

Pro Schüler sollte man mit 2 m² Raumbedarf rechnen. Als Arbeitsplatz benötigt ein Zweierteam einen Tisch von mindestens 140 cm Breite und 60 cm Tiefe mit einer Holzplatte als Schutzauflage. An den einzelnen Arbeitsplätzen muss die Werkzeugausstattung ausreichend sein. Damit das Werkzeug gut erreichbar ist, sollte es an einem am Tisch montierten Lochregal aufgehängt werden. Zweckmäßig sind kleine Schubladenregale in erreichbarer Nähe für Klein- und Ersatzteile. Gute Beleuchtung ist erforderlich, ebenso genügend Stromanschlüsse. Außerdem sind zwei PC mit Internetzugang nötig. Wenn schwerpunktmäßig Reparaturen an elektrischen und elektronischen Geräten erfolgen, ist ein separater Messplatz für Funktions- und Endabnahmeprüfungen empfehlenswert. Der Raum muss einen Not-Aus-Schalter besitzen. Dieser lässt sich nachträglich leicht einbauen.

Welches Startkapital ist nötig?

Mit 1.000 Euro konnten wir zunächst das Werkzeug für vier Arbeitsplätze für jeweils zwei Schüler kaufen. Zusätzlich haben wir die Elternschaft gebeten, gebrauchte und nicht mehr benötigte Werkzeuge und Schrauben zu spenden. Später haben wir zwei weitere Arbeitsplätze für Elektroreparatur eingerichtet und uns einen 3D-Drucker zur Herstellung von nicht erhältlichen Ersatzteilen angeschafft (350 Euro). Eine Holzwerkstatt ist startbereit, ihre Einrichtung wird aus Spendengeldern finanziert.

Welche Sicherheitsvorkehrungen müssen getroffen werden?

Generell gelten die allgemeinen Unfallverhütungsvorschriften sowie die Erste-Hilfe-Vorgaben der Schule. Vor Beginn der Arbeiten sollten die Schülerinnen und Schüler eine erfahrungsbezogene Sicherheitseinweisung bekommen. Bewährt hat sich ein Schutzadapter um den Netzstecker des zu reparierenden Gerätes, der es den Schülerinnen und Schülern unmöglich macht, defekte Elektrogeräte an die Steckdose anzuschließen. Sie können trotzdem den Durchgangswiderstand prüfen und so einen möglichen Kabelbruch als Defekt entdecken. Die verschiedenen technischen Schutzmaßnahmen, die die Hersteller von Elektrogeräten getroffen haben, werden erläutert. Vor Rückgabe eines reparierten Geräts muss eine Sicherheitsprüfung nach DIN VDE 0701 mit einem Prüfgerät für den VDE 0701 Test erfolgen. Bei den Messungen werden der Schutzleiterwiderstand, der Isolationswiderstand und der Ersatzableitstrom gemessen. Im offenen Zustand wird das Gerät auch einer Sichtprüfung unterzogen.

Wie sieht es mit der Haftungsfrage aus?

Grundsätzlich verfügt jede Schule über eine Schulhaftpflichtversicherung. Wir empfehlen, sich darüber hinaus eingehend mit dem Thema Haftung zu befassen. Für unsere Reparaturwerkstatt haben wir folgenden Weg gefunden: Die Entbindung von der Haftung (= Verpflichtung zum Schadensersatz) muss mit den Kunden schon bei Übergabe des defekten Gerätes abgesprochen, in einer entsprechenden Rubrik des Annahmebogens festgehalten und durch Unterschrift bestätigt werden.

Welche Schüler-Gruppengröße ist empfehlenswert?

Das hängt zunächst von der Zahl der Arbeitsplätze und der Zahl der Betreuer ab. Wir haben gute Erfahrungen mit einer Gruppengröße von maximal zwölf Schülerinnen und Schülern gemacht. Für diese Größe sollten mindestens eine Lehrkraft und ein bis zwei ehrenamtliche Reparaturanleiter zur Verfügung stehen. Wie findet man ehrenamtliche Reparaturanleiter? Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten: Zum einen eignet sich ein Rund-Mail an die Elternschaft mit dem Aufruf „Tüftler gesucht“. Allerdings kommen hauptsächlich Interessenten im Rentenalter wie Großeltern oder Nachbarn infrage. Jüngere Fachleute, die voll im Berufsleben stehen, können bei bestem Willen die Zeit nicht aufbringen. Pensionierte Lehrkräfte aus Berufs- und Gewerbeschulen sind besonders qualifizierte Team-Mitglieder. Einen Versuch ist es wert, bei Handwerksverbänden, der Innung oder Handwerkskammer nachzufragen, bei Ehrenamtsbörsen wie www.tatendrang.de/organisationen/ oder www.gute-tat.de/fuer-soziale-organisationen/ehrenamtliche-finden/, auf Facebook, dem Nachbarschaftsnetzwerk www.nebenan.de oder der örtlichen Bürgerstiftung.

Nach welchen Kriterien werden Reparaturaufträge angenommen?

Die Arbeiten der Schüler-Reparaturwerkstatt sind Reparatur-Versuche, es kann keine Garantie für einen Erfolg gegeben werden. Gut eignen sich Haushaltsgeräte wie Küchengeräte, Bügeleisen, Staubsauger, Nähmaschinen und Ventilatoren. Im Bereich Holz Spielzeuge, geeignete Möbel, kleine Fahrzeuge u. ä. Als ungünstig haben sich Geräte erwiesen, bei denen der Fehler im nicht zugänglichen bzw. nicht via Anleitungen oder Internet durchschaubaren elektronischen Bereich liegt, sowie besonders gefahrenträchtige Objekte. Grundsätzlich ausgeschlossen von der Annahme sollten sein: Objekte mit antiquarischem Wert, Kunstgegenstände, Musikinstrumente, Elektrogeräte mit erhöhtem Gefahrenpotenzial (z.B. Geräte mit Hochspannungsbetrieb) oder medizinische Hilfsgeräte.

Wo finde ich Reparaturtipps und Möglichkeiten zur Vernetzung?

In unserem Handbuch finden Sie schon eine ganze Menge. Auch wir profitieren von der aktiven Repair-Café-Community (https://repaircafe.org/de/). Man kann in Repair Cafés Fragen stellen und konkrete Reparaturtipps erhalten, mit anderen Erfahrungen austauschen, selbst Tipps geben und auf diese Weise viel voneinander lernen. Außerdem gibt es Ifixit, ein kostenloses Online-Reparaturhandbuch für alles, geschrieben von allen (https://de.ifixit.com/Anleitung). Auch die Abfallwirtschaftsbetriebe vor Ort kann man ansprechen. Reparatur-Initiativen im deutschsprachigen Raum sind unter www.reparatur-initiativen.de vernetzt.

DIE SCHWABINGER SCHÜLER-REPARATURWERKSTATT

Interview mit Initiator Walter Kraus

MLZ: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Schüler-Reparaturwerkstatt zu gründen?

Kraus: Ein Umdenken ist in unserer Gesellschaft dringend notwendig. Aktuell verbraucht die Menschheit 60 Prozent mehr an Ressourcen, als die Welt bereitstellt. Machen wir so weiter wie bisher, würden wir im Jahr 2030 bereits zwei Erden benötigen, um unseren Bedarf an Nahrung, Wasser und Energie zu decken (Quelle: WWF 2016). Das zeigt: Die Erde ist am Limit und ein Umdenken ist dringend gefragt. Abfallvermeidung ist ein wichtiger Schritt in Richtung Ressourcenschonung und Klimaschutz. Deshalb haben wir die Schüler-Reparaturwerkstatt an unserer Schule gegründet. Mit einer Reparatur würdigen wir die Tatsache, dass in einem defekten, aber durchaus noch funktionsfähigen Apparat natürliche Ressourcen stecken, die man nicht so einfach wegwerfen darf. In dem defekten Gerät stecken auch kulturelle Leistungen von Menschen, die dieses Gerät entwickelt und gebaut haben, und die man genauso wenig achtlos wegwerfen darf.

MLZ: Was ist das Besondere an der Schüler-Reparaturwerkstatt?

Kraus: Sie findet nicht im „abgesicherten Modus“ statt, sondern unter realen Bedingungen. Echte Kundinnen und Kunden geben echte Reparaturen in Auftrag. Und: Die Schülerinnen und Schüler gestalten den gesamten Prozess in Eigenregie. MLZ: Wie läuft das konkret ab? Kraus: Die Schüler führen die Gespräche mit der Kundschaft und übernehmen zunächst ganz eigenständig die Fehlersuche und die damit verbundenen Recherchen im Internet und in sonstigen Quellen, z.B. mitgelieferten Bedienungsanleitungen. 
Sie gehen dabei nach der Methodik des entdeckenden und erfahrungsgeleiteten Arbeitens und Lernens vor. Sie entscheiden selbst, wann sie allein nicht weiterkommen und weitere Hilfe benötigen, die sie sich aktiv holen. Sie organisieren auch selbst, welches Team welche Reparaturen übernimmt.


MLZ: Wer betreut die Schüler in der Werkstatt?

Kraus: Die schulische Aufsichtspflicht erfordert zwingend die Anwesenheit einer Lehrkraft, der Fachbereich ist nicht entscheidend. Darüber hinaus sind ehrenamtliche Reparaturanleiterinnen und -anleiter wesentlicher Bestandteil des Konzepts. Werden Strom führende Geräte repariert, muss eine Elektrofachkraft für die Prüfung und Endabnahme der Geräte zur Verfügung stehen. Nebenbei lernen die Schüler, sich nicht nur an der Lehrkraft zu orientieren, sondern auch mit Externen zusammenzuarbeiten und gemeinsam Generationen übergreifende Erfahrungen zu machen. Nach unserer Erfahrung ist es günstig, wenn je ein ehrenamtlicher Reparaturanleiter vier bis sechs Schülerinnen und Schüler unterstützt. Anleiter sollten die Fähigkeit mitbringen, Zurückhaltung zu üben und offen für kreative Ideen der Schüler zu sein. Die Begleitung sollte die Jugendlichen vor allem darin unterstützen, selbst Lösungen für die Reparatur zu finden. Unterstützende Fragen der Betreuer nach dem Fehlerbild oder der erwarteten Funktion können bei der Fehlersuche helfen. Nebenbei, und nur am aktuellen Bedarf orientiert, können auch einige Hintergrundinformationen die Zusammenhänge leichter verständlich machen. Zieht sich ein Reparaturprozess in die Länge, mag es schon mal nötig werden, die Jugendlichen zum Durchhalten zu ermutigen.

MLZ: Welche Lerneffekte sind Ihnen besonders wichtig?

Kraus: Obwohl wir in einer Wegwerfgesellschaft leben, sind Nachhaltigkeit und Reparatur für unsere Schülerinnen und Schüler vertraute Begriffe geworden. Der Nutzen ist groß, denn sie können noch ein ganzes Leben lang reparieren, statt wegzuwerfen. Und nebenbei macht das Reparieren natürlich auch ganz viel Spaß und ist für die Beteiligten eine ungeheuer erfüllende Tätigkeit. Man hat wieder etwas ins Laufen gebracht, und gleichzeitig hat man die Funktionsweise des Geräts auch von Grund auf verstanden – das sollte zur schulischen Bildung gehören. Wir haben die Schülerreparaturwerkstatt bewusst nicht als wirtschaftliches Unternehmen organisiert. Es geht vielmehr darum, sich uneigennützig in den Dienst Dritter zu stellen. Die „Belohnung“ besteht ausschließlich in der Befriedigung, etwas für andere zu tun – und dabei selbst viel zu lernen. Außerdem bietet das Nutzen des Internets als Informationsquelle und Medium zur Kommunikation etwa mit Herstellern oder Lieferanten den Schülerinnen und Schülern die Chance, es als Werkzeug zu erkennen und nicht mehr primär als Unterhaltungsmedium zu sehen.

MLZ: Was war bisher das größte Problem, das zu lösen war?

Kraus: Die Reparaturen von Elektrogeräten müssen so durchgeführt werden, dass die Sicherheitsanforderungen an Schulen gewährleistet sind. Hierfür habe ich einen Adapter entwickelt, der es den Schülern unmöglich macht den Stecker in die Steckdose zu stecken. Sie können jedoch trotzdem die Stecker-Verbindungen auf Kabelbruch untersuchen.

MLZ: Herzlichen Dank für dieses Interview und weiterhin viel Erfolg mit der Schüler-Reparaturwerkstatt!

Das Interview führte Martin Göb-Fuchsberger, Leiter der Abteilung Schul- und Bildungspolitik.