Interview

Für ein besseres menschliches Miteinander

Sprache ist mehr als Kommunikation. Sie kann auch Gewalt sein. Wir merken die Sprachverrohung immer wieder – in der Gesellschaft, in der Politik, in den sozialen Medien und letztlich auch in den Klassenräumen. Beleidigungen, Provokationen und Mobbing erschweren den friedlichen Umgang miteinander und stören das Klassenklima empfindlich. Dagegen wollte Lehrerin Stefanie Batmaca etwas tun und führte „Klare Worte!...aber respektvoll“  gemeinsam mit dem Verein SprachBewegung e.V.  in der 7. Klasse der Mittelschule an der Wiesentfelser Straße durch.  

Frau Batmaca, worum geht es bei „Klare Worte!...aber respektvoll“?

Batmaca: Klare Worte ist ein Projekt für eine Schulklasse oder eine andere beliebige Gruppe zum Thema Gewalt in der Sprache. Durch eine ernsthafte und differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema können die Jugendlichen neue Erfahrungen machen, Handlungsalternativen einüben und in der partizipativen Aushandlung von gemeinsamen Regeln lernen, Verantwortung zu übernehmen. Wir wollen bei den jungen Menschen Verhaltensänderungen erzeugen, damit das Klima untereinander verbessert und ein respektvolles und menschliches Miteinander möglich wird.  

Weshalb machten Sie mit Ihrer Klasse mit?

Batmaca: Viele Konflikte in den Klassen entstehen, weil die Schüler „aus Spaß“ oder wenn sie frustriert sind, Gewalt in der Sprache verwenden. Ihre kränkenden Worte empfinden sie selbst nicht so schlimm, andererseits reagieren sie sehr empfindlich und verletzt, wenn Mitschüler ihnen gegenüber heftig werden. Schüler sind sich teilweise gar nicht bewusst, was die von ihnen verwendeten Ausdrücke bei Mitschülern auslösen. Einige haben sogar das Gefühl, wenn sie nicht mitziehen und keine Schimpfwörter verwenden, könnten sie als schwach angesehen und zum Opfer werden.

Da spielen sicher auch die sozialen Medien eine große Rolle?

Batmaca: Ja, die Verrohung der Sprache in diesen Medien ist wirklich problematisch. Schüler lesen und hören entsprechende Ausdrücke so oft, dass sie diese Art von Sprache als zunehmend normal empfinden.

Wie kam der Name zustande?

Batmaca: Nachdem uns klar war, was wir – Lichterkette e.V., SprachBewegung e.V. und Mittelschule - mit dem Projekt wollen, sammelten wir Namensideen, die unsere Ziele abbilden. Dann haben wir die Schüler in unsere Überlegungen mit einbezogen, ihnen die Vorschläge vorgestellt und ihre Anregungen mit aufgenommen. Am Ende stimmten die Schüler demokratisch darüber ab, wie das Projekt heißen soll.

Wieviel Zeit nahm das Projekt in Anspruch?

Batmaca: Wir starteten im Oktober 2020 mit drei Intensivprojekttagen und führten dann Klare Worte regelmäßig ein halbes Schuljahr einmal wöchentlich mit 90 Minuten weiter. Natürlich brachte hier Corona einiges durcheinander, weil wir ab Januar digital kommunizieren mussten.

Wie veränderte Corona insgesamt den Ablauf?

Batmaca: Ursprünglich hatten wir geplant, dass die Schüler am Ende des Projektes als Multiplikatoren in andere Klassen gehen und ihre Erfahrungen dort direkt weitergeben. Aufgrund von Corona war dies nicht möglich. Daher ist die Idee entstanden, einen digitalen Workshop zu entwickeln und diesen allen Interessierten im Internet zur Verfügung zu stellen.

Was bewirkte Klare Worte konkret in Ihrer Klasse und bei den Schülern?

Batmaca: Den Schülern ist bewusst geworden, dass

  • jeder schon durch Gewalt in der Sprache verletzt wurde
  • fast jeder schon Gewalt in der Sprache verwendet hat
  • jeder unterschiedlich auf verschiedene Ausdrücke reagiert
  • ihre Reaktion auf Gewalt mit Gegengewalt immer zu einer Eskalation führt.

Die Schüler übten Handlungsalternativen ein und entwickelten eine Haltung gegen Gewalt in der Sprache. Sie merkten, wie sehr sie teilweise an die Verwendung von Gewalt in der Sprache gewohnt sind und wie schwer es ihnen teilweise fällt, konsequent darauf zu verzichten.

Welche Schwierigkeiten mussten Sie überwinden?

Batmaca: Natürlich an erster Stelle den Lockdown, aber wir mussten auch Rückschläge akzeptieren. Wenn ein Schüler bewusst entscheidet, dass er auf Gewalt in der Sprache verzichten möchte, passiert es trotzdem immer wieder, dass er in alte Gewohnheiten zurückfällt. Eine geänderte Haltung führt noch nicht automatisch zu einem verinnerlichten Verhaltenswechsel. Rückschläge sind kein Versagen, sondern gehören zum langen Weg der Verinnerlichung dazu.  

Was freute Sie am meisten?

Batmaca: Die Ehrlichkeit und Offenheit vieler Schüler und auch ihre Bereitschaft, eigene Erfahrungen zu teilen. Erfreulich war auch, wie die Schüler ihre Erfahrungen reflektierten und dass einige von ihnen das Tagebuch-Schreiben als wichtiges Ventil für ihre Gefühle entdecken konnten. Und nicht zuletzt, dass sich die Gemeinschaft in der Klasse verbessert hat.

Wie konnten Sie die Schüler zum Mitmachen motivieren?

Batmaca: Sie waren motiviert, da jeder aus seiner eigenen Lebenswelt berichten konnte und sich so direkt angesprochen fühlte. Die Schüler gestalteten jede Phase des Prozesses mit und trafen selbst Entscheidungen für ihre Gruppe. Es ging um ihre Themen und ihre Konflikte - es ging um sie.

Wie aktiv arbeiteten die Schüler mit? 

Batmaca: Unterschiedlich. Am aktivsten waren sie, wenn sie selbst mitgestalten durften, ihre Ideen und Diskussionsbeiträge sowie ihr schauspielerisches Talent für die Erstellung der Filme für die Homepage gefragt waren.

Was muss man bei der Durchführung besonders beachten?

Batmaca: Die Möglichkeit, Denkprozesse und Veränderungen in Gang zu setzen, ergibt sich nur dann, wenn man sich über einen längeren Zeitraum mit Gleichaltrigen in einem strukturierten Rahmen über die Thematik austauscht. Das geht nur in der Schule oder in der Jugendarbeit (Hort, Jugendtreff etc.). Für die Verankerung im Schulalltag kommt vor allem der Lehrkraft, die das Projekt mit leitet, eine sehr wichtige Rolle zu. Außerdem muss die Schule bzw. die Schulleitung das Projekt wollen.

Eignet sich Klare Worte auch für andere Klassen und Schulen?

Batmaca: Wir sind davon überzeugt, dass dieses Projekt in jeder Klasse und an jeder Schule einen wichtigen Beitrag für ein besseres menschliches Miteinander bewirken kann. Da zu jedem Zeitpunkt die Schüler mit einbezogen sind, ist das Projekt auf andere Altersgruppen und Schulformen direkt übertragbar.

Wie ist die Website zustande gekommen?

Batmaca: Am Ende des Projektes reflektierten die Schüler ihre Erfahrungen und sammelten die Methoden, die ihnen am meisten gebracht haben. Diese Methoden bereiteten wir dann für andere Gruppen medial auf, so dass auch andere dieses Projekt durchführen können.

Wie geht es jetzt weiter?

Batmaca: Im nächsten Schritt würden wir dieses Projekt gerne mit einer gesamten Schulfamilie durchführen, so dass sich an einer Schule das Schulklima insgesamt verändern kann. Außerdem wollen wir Lehrkräfte und Pädagogen über Fortbildungen mit den Methoden des Projekts vertraut machen, damit sie es eigenständig mit ihren Klassen und Gruppen durchführen können. Gleichzeitig wird das Projekt weiterentwickelt und mithilfe der Erfahrungen aller, die es durchführen, ergänzt werden. Aktuell ist ein Modul mit Schwerpunkt „Rassismus“ in Planung.

Interview: Harriet Austen, Lichterkette e.V.

Die drei Phasen von „Klare Worte!...aber respektvoll“

  • In einem ersten Schritt analysierten wir gemeinsam die Sprache, die uns umgibt. Welche Worte verwenden wir? Kann Sprache verletzen? Was empfinden wir als Gewalt und was nicht? Wie geht es uns, wenn wir beleidigt werden, was tun wir, wenn wir wütend sind? Wir versuchten das Problem „Gewalt in der Sprache“ zu verstehen und schließlich zu ändern: mit klaren Worten… aber respektvoll!
  • In der zweiten Phase überlegten wir, was wir gerne verändern würden. Die Schüler stimmten im Klassenrat selbst über Regeln ab und entschieden auch darüber, was bei Regelbruch geschehen soll. Gleichzeitig machten wir uns darüber Gedanken, wie man Konfliktsituationen am besten begegnen kann und entwickelten und spielten Handlungsalternativen durch. Als Ventil für Gefühle führten wir regelmäßiges Tagebuchschreiben ein.
  • In der dritten Phase ging es darum, die Gemeinschaft zu stärken und unsere Gemeinsamkeiten zu entdecken. Schließlich reflektierten die Schüler ihre Erfahrungen und entschieden darüber, wie und was sie davon gerne mit anderen teilen würden. So ist dann der digitale Workshop entstanden.

Das Projekt „Klare Worte!...aber respektvoll“ wurde vom Verein Lichterkette e.V. initiiert und von SprachBewegung e.V. konzipiert und im Schuljahr 2020/2021 als Pilotprojekt gemeinsam mit Stefanie Batmaca in der 7. Klasse der Mittelschule an der Wiesentfelser Straße durchgeführt.

Wer am digitalen Workshop-Programm interessiert ist und Klare Worte selbst durchführen möchte, findet hier die entsprechende, von den Schülern erstellte Anleitung:

https://sprachbewegung.com/klare-worte/#Phase%201