BLICKPUNKT: gemeinsam.brücken.bauen
So lautet die Überschrift eines KMS, das am 18.05.2021 verschickt wurde. Die Überschrift lässt hoffen, vor allem, weil das Wort „gemeinsam“ gleich am Anfang steht.
Wir stehen vor einer Herausforderung, die in zwei zeitlichen Abschnitten auf die Schulen zukommt. Zum einen im Zeitraum von Pfingsten bis zu den Sommerferien, in dem es darauf ankommt, unsere Schulkinder aufzufangen und sie wieder in den schulischen Alltag einzubinden. Viele Kinder waren in diesem Schuljahr – und im Schuljahr zuvor ebenfalls – lange Zeitstrecken überhaupt nicht mehr in der Schule. Ihnen fehlt die Erfahrung, was das Sozialsystem Klasse insgesamt ausmacht. Und wenn sie für wenige Wochen doch in der Schule waren, so sahen sie sich pandemiebedingt einer Unterrichtsmethodik ausgesetzt, die mit ihrer Lehrerzentriertheit an Unterricht vor 50 Jahren erinnert. Es wird also wichtig sein, zunächst den Rahmen zu schaffen, in dem unsere Schülerinnen und Schüler lernen können. Hier sind sich alle Fachleute einig, hier darf auch an die Erkenntnisse aus der Schul- und Kinderpsychologie zur Traumatisierung von Kindern und Jugendlichen durch Corona erinnert werden.
Die Schlussfolgerung im KMS ist richtig – in einem zweiten Zeitraum ab Sommer Förderprogramme aufzulegen, die entstandene Nachteile und klaffende Defizite auszugleichen suchen. Dabei sehen wir uns jedoch mit einem Problem konfrontiert, das im Kontext von Corona seitens des Kultusministeriums bislang geschickt in den Hintergrund gedrängt wurde – mit dem gigantischen Lehrermangel an Grund-, Mittel- und Förderschulen! Und wir sind erst am Anfang!
Was ist zu tun?
Zum Management einer Krise gehört zunächst die klare Analyse der Ausgangssituation. Wenn nun das Kultusministerium den Lehrermangel vehement verneint, so zeigt das die fehlende Bereitschaft zu dieser Analyse und hat mit dem Begriff „gemeinsam“ in der Überschrift des KMS nichts zu tun. Es stellt das Gegenteil dar und trägt zu einem weiteren Vertrauensverlust und zu einer Vertiefung des Grabens hin zum Ministerium bei.
Zur Überwindung, mindestens aber zur Verringerung der Pandemiedefizite unserer Schülerinnen und Schüler, brauchen die Schulen neben dem Pflichtunterricht professionell geleitete Förderprogramme. Das können Brückenkurse im sprachlichen wie im mathematischen Bereich sein. Dazu gehören auch die Vorkurse-Deutsch, die all diejenigen Kinder einbeziehen, deren sprachliche Defizite im letzten Kindergartenjahr so groß sind, dass eine Teilnahme am Regelunterricht der 1. Klasse fraglich ist. All diese Kinder benötigen gerade jetzt sehr gut ausgebildete Lehrkräfte, die diese Kurse professionell durchführen können.
Das Kultusministerium stellt für diese Programme jedoch keine Lehrkräfte mehr zur Verfügung – einfach deswegen, weil es keine mehr gibt. Hier hilft kein Leugnen. Hier wäre Ehrlichkeit gefragt. Denn Ehrlichkeit schafft Vertrauen, ist Zeichen von Souveränität und stärkt die Loyalität.
Es erklärt sich nicht einmal mehr dafür verantwortlich, Personal zu suchen. Dabei wäre das – nicht nur im Sinne der Fürsorge – das Gebot der Stunde und zudem originäre Aufgabe des Kultusministeriums. Diese Aufgabe wird jedoch kurzerhand an die Schulleitungen und an die Schulämter abgegeben, gemäß dem Motto: Wer Förderprogramme haben möchte, muss selbst auf Suche nach Personal gehen. Die Qualifikation der „Lehrpersonen“ tritt dabei völlig in den Hintergrund. Von Grundschul- oder Mittelschulpädagogik ist keine Rede mehr. Von unterrichtlicher Professionalität ebenfalls nicht. Hauptsache, die Stellen sind besetzt.
Und es kommt noch schlimmer: Darüber hinaus sollen auch einzelne Fächer von externen Personen „unterrichtet“ werden. Von Arbeitsgemeinschaften, die das Schulleben jenseits von Unterrichtsinhalten maßgeblich prägen und damit Teil des Bildungsauftrags von Schule sind, wird überhaupt nicht mehr gesprochen.
Man kann nur ahnen, was das für die Qualität von Bildung an Bayerns Grund-, Mittel- und Förderschulen bedeutet. Und für das Ansehen des Berufs. Ob das Abiturienten und -innen motiviert, ein Lehramtsstudium aufzunehmen, ist ebenfalls äußerst fraglich.
- Kollegien und Eltern müssen sich verhöhnt vorkommen, sollte das Argument ernsthaft ins Feld geführt werden, die Anstellung von externem Personal entspreche der Forderung vieler Schulexperten nach multiprofessionellen Teams an Schulen. Selbstverständlich benötigen unsere Schülerinnen und Schüler dringend diese multiprofessionellen Teams – aber nicht anstelle von Lehrkräften, sondern zusätzlich zu ihnen. Und schon gar nicht, um die Unterrichtsversorgung an sich sicherzustellen. In einem Land, das das hohe Niveau seiner Schulen immer sehr laut und medienwirksam betont, sollte dies selbstverständlich sein.
- Kollegien und Eltern müssen sich verhöhnt vorkommen, sollte das Argument ins Feld geführt werden, die Suche nach externem Personal entspreche der Forderung nach mehr Eigenverantwortlichkeit in den Schulen. Das Durchreichen von originären Aufgabenbereichen nach unten hat mit der Idee der Stärkung von Eigenverantwortlichkeit von Schulen nichts zu tun und stellt das Gegenteil dessen dar, was der Begriff „gemeinsam“ impliziert. Selbstverständlich benötigen die Schulen ein höheres Maß an Eigenverantwortlichkeit im täglichen Handeln. Jedoch basierend auf der Erkenntnis, dass hierarchische Kontrolle einer echten Schul- und Unterrichtsentwicklung, ausgerichtet an den Bedürfnissen der jeweiligen Schülerschaft, entgegensteht. Nur so vermag ein Bildungssystem den Anforderungen einer modernen Gesellschaft gerecht zu werden.
Beginnen wir mit der Ehrlichkeit: Streichen wir doch das Wort „gemeinsam“ aus der Überschrift des KMS.
Und beginnen wir endlich mit Maßnahmen, die den Beruf der Grund-, Mittel- und Förderschullehrkräfte attraktiver machen. Der MLLV steht für Gespräche mit den politisch Verantwortlichen gerne jederzeit bereit.
Es grüßt Sie sehr herzlich
Dr. Michael Hoderlein
3. Vorsitzender des MLLV