Von (verbotenen) Äpfeln und Birnen: Microsoft Teams vs. visavid

Kommentar von Florian Zeindl

Am 16.04.2021 sind die Würfel gefallen: Die bayerische KM-Version von Microsoft Teams for Education wird letztmalig bis zum Ende des Schuljahres 2020/2021 verlängert und soll ab nächstem Schuljahr durch ein bisher unbekanntes, bayerisches Videokonferenzprodukt namens visavid ersetzt werden. Der bayerische Kultusminister schreibt: „Da wir wissen, dass aktuell manche Schulen in Bayern das MS Teams-Angebot des Kultusministeriums nutzen, haben wir den Vertrag nun bis Ende des aktuellen Schuljahres verlängert.“[1]Während diese Verlängerung begrüßenswert ist, wird weder die Aussage „manche Schulen“, noch die Tatsache, dass Microsoft Teams durch ein reines Videokonferenztool ersetzt wird, der Sache gerecht. Microsoft Teams, in der Landeshauptstadt München schon weit vor der bayerischen Version – und auch für Grundschulen – verfügbar gewesen, wurde nicht nur von „mancher Schule“ genutzt, sondern hat buchstäblich den Distanz- und Wechselunterricht in Bayern durch seine Zuverlässigkeit, Stabilität und einfachen Bedienbarkeit gerettet. Es ist ungerecht, diese Tatsache herunterzuspielen, das wird der Leistung des Systems für unsere bayerische Schulfamilie keineswegs gerecht.

Grundsätzlich ist es begrüßenswert, dass das Ministerium, nach rechtlich vorgeschriebener Ausschreibung, nun spät, aber immerhin ein rechtlich abgesichertes Videokonferenztool anbietet. Wir wollen dieses, uns allen noch unbekannte Tool, keineswegs schlecht reden, doch stimmen einige Aspekte nachdenklich. Zum einen scheinen Features wie Gruppenräume und das Teilen von Bildschirmen auf Apple iOS/iPadOS noch nicht zu funktionieren, zum anderen existiert keine App, was insbesondere für jüngere Schülerinnen und Schüler ein Hindernis darstellen wird. Diese kommen mit einem Klick auf eine App, die gleichzeitig ihre Login-Daten speichert, oft viel besser zu recht als mit einem nötigen Eintippen einer URL (mit zusätzlich jedes Mal nötigem Einloggen, vgl. mebis). Des Weiteren existiert hier ein separates Benutzermanagementsystem, das nur Benutzerkonten für Lehrkräfte vorsieht. Schülerinnen und Schüler werden lediglich via Link eingeladen, haben also keine individuellen Accounts. Welche Konsequenzen dies haben kann, sieht man in zahlreichen Medienberichten zu ähnlichen Systemen, die von Außenseitern infiltriert wurden. Man zählt das System zur BayernCloud Schule, ein Begriff, der der Sache, wie so vieles, nicht gerecht wird. BayernCloud Schule würde heißen, dass das System in einen zentralen Hub integriert ist – in dem Fall also zumindest mit der Nutzerdatenbank von mebis verknüpft wird. Im jetzigen Zustand ist es jedoch ein völlig separates System, das wiederum wieder separat von Systembetreuern verwaltet werden muss (vgl.  zusätzlicher CSV Import von Lehrkräften aus ASV). Ein Urteil zur Stabilität und Benutzerfreundlichkeit werden wir uns erst nach dem Rollout erlauben.

Microsoft Teams – oder Microsoft 365 – ist weit mehr als ein Videokonferenztool.
Doch nun weiter zur Vergleichbarkeit mit Microsoft Teams. Vom Kultusministerium wird Teams – oder korrekt gesagt Microsoft 365 – entweder absichtlich oder aus Unkenntnis immer wieder als „Videokonferenztool“ bezeichnet. Deshalb soll diese „Videokonferenztool“ jetzt auch durch visavid, einem tatsächlich reinen Videokonferenztool, ersetzt werden. Nutzer von Microsoft Teams wissen jedoch sehr wohl, dass die Videokonferenzfunktion nur einen Bruchteil des Funktionsumfangs darstellt. Microsoft Teams dient durch seinen Aufbau und seine Strukturen als übersichtlicher Hub für Lehrkräfte und Schüler zugleich. In einem Team Klasse 9a – Englisch beispielsweise, kann kinderleicht und mit einem Klick auf die App, schriftlich kommuniziert und diskutiert werden, es können Dateien zur Verfügung gestellt – oder kollaborativ bearbeitet werden (z.B. in Word oder Powerpoint). Im Kursnotizbuch, das über OneNote abgebildet wird, kann im Prinzip der gesamte Unterricht digital dargestellt – und ganz besonders interaktiv umgesetzt werden. Gerade im Wechselunterricht stellt sich dieses System als Segen heraus – Präsenz und Distanzgruppe können gleichzeitig miteinander arbeiten und den Fortschritt, z.B. des Hefteintrags, live mitverfolgen. Zu Hause kann jeder Schüler zudem diese Ergebnisse erneut digital abrufen. Das alles wird abgerundet durch einfach zu bedienende Apps, die Benutzername und Passwort speichern, und zudem sinnvolle Push Notifications bieten; Features, die in reinen Webapplikationen (wie z.B. in mebis) fehlen, was gerade jüngeren Schülern das Leben schwer machen, weil sie mit anderen, viel leichter zu bedienenden Benutzeroberflächen aufgewachsen sind. In Hinblick auf visavid stellt sich nun auch die Frage, wie der Beitrittslink kommuniziert werden soll – Schüler und Lehrkräfte würden das normalerweise völlig problemlos in einem Teams-Kanal machen, doch das soll ja bald nicht mehr existieren. Das hauseigene mebis stellt hier kaum eine Alternative dar, ist es doch eher eine Lernplattform für Selbstlernkurse mit (semi-) automatischem Feedback – jedoch keineswegs eine bequeme und sinnvolle Kommunikationsplattform. Genau wie bei der Diskussion Teams vs. visavid, vergleicht man hier Äpfel mit Birnen, statt der Schulfamilie die für den jeweiligen Aufgabenbereich jeweils beste Applikation zur Verfügung zu stellen. Das wäre Digitalisierung!

Endlich professionelle, branchenübliche Software im Schulbereich.
Durch die Pandemie wurden unkonventionelle Wege nötig, da staatliche Plattformen entweder nicht existierten oder schlicht für den Einsatzzweck im Distanz- und Wechselunterricht nicht geeignet waren. Dadurch wurden produktive Kräfte freigesetzt, die es nun für die Zukunft zu sichern gilt. Mit Microsoft Teams durfte die Schulfamilie vom verbotenen Apfel kosten – und den allermeisten hat es geschmeckt. Endlich professionelle, zeitgemäße, von allen (!) gut bedienbare Software im Bildungsbereich, in dem kurz vor Corona noch Viele das Whiteboard und die Dokumentenkamera als Gipfel der Digitalisierung feierten. Endlich musste und konnte (!) man kreative Konzepte ausprobieren und den Unterricht ins 21. Jahrhundert befördern. Kollaboratives Arbeiten in der Cloud, vernünftige, direkte und einfache Kommunikationswege brachten Erleichterungen, die man auch aus dem Privatleben schon lange kannte, endlich in den Schulalltag. All dies soll uns nun genommen werden.

 

Digitale Souveränität kann erst erreicht werden, wenn man selbst etwas Gleichwertiges zu bieten hat. Das wird insbesondere der öffentliche Dienst nicht schaffen.
Es lassen sich zwei Hauptgründe hierfür nennen: Der erste ist „digitale Souveränität“ und der zweite der Datenschutz. Beides sind berechtigte Sorgen, die man jedoch nicht durch Verbote und Abschaffen aus der Welt schafft. Digitale Souveränität lässt sich nämlich erst erreichen, wenn man selbst etwas Gleichwertiges, oder Besseres, zu bieten hat. Leider wurde in ganz Europa die Digitalisierung verschlafen und keine nennenswerte Konkurrenzprodukte zu den US-Amerikanischen Riesen (Microsoft, Apple, Google) entwickelt. Dieses Versäumnis, das ebenso in der Privatwirtschaft existiert, wird der budgetmäßig deutlich unterlegene öffentliche Dienst auch langfristig nicht aufholen. Es wird in absehbarer Zeit kein bayerisches Silicon Valley geben, genauso wenig wie es ein echtes bayerisches Hollywood gibt. Wir müssen also momentan einen Fakt akzeptieren: Wollen wir branchenübliche und auch für die berufliche Zukunft der Schülerinnen und Schüler die besten und sinnvollsten Systeme, kommen wir um Produkte aus den USA im digitalen Bereich nicht herum. Dies führt uns zum Datenschutz.

 

Die heutigen Datenschutzdiskussionen sind zu technisiert und für den Laien nicht mehr nachvollziehbar
Datenschutz ist ein Thema, das in der heutigen Zeit vom Ottonormalbürger auf dem Level, auf dem in Hinblick auf Produkte, insbesondere aus den USA, diskutiert wird, nicht mehr verstanden wird. Es kommen teils Argumente, die klingen als wären wir im Kalten Krieg: US-Geheimdienste würden Zugriff auf unsere Daten bekommen und unter anderem deswegen sei eine Nutzung nicht erlaubt. Dies mag alles korrekt sein und der Datenschutz ist insbesondere rechtlich wichtig und auch für Behörden verbindlich. Doch kann hier die Lösung nicht ein pauschales Verbot aller US-Systeme sein. Insbesondere wenn man immer wieder hört, dass diese Systeme auch in der deutschen freien Wirtschaft eingesetzt werden – der bayerische Justizminister Georg Eisenreich gab zudem vor wenigen Tagen bekannt, dass Microsoft Teams für Video-Verhandlungen an Gerichten freigegeben wird[2].  Gerade in einer globalisierten Welt schränken wir uns hier auf unsere lokalen Produkte ein, die, wie oben beschrieben, auch langfristig nicht mithalten können. Im Prinzip müssten wir konsequenterweise das halbe Internet verbieten, denn Telemetrie Daten und Co. sind (leider) zur Normalität im Internet geworden. Deutsche bzw. bayerische Behörden sollten hier stattdessen in Verhandlungen mit den Anbietern gehen und versuchen datenschutzrechtlich maßgeschneiderte Versionen auszuhandeln. Vielleicht muss man sich beim Thema Datenschutz auch doch ein wenig auf „den Gegner“ zubewegen, statt hier Maximalforderungen zu stellen.

 

Wir verschenken vieles, was wir aus der Pandemie in den zukünftigen Präsenzunterricht produktiv überführen könnten.
Ein Jahr voller Fortbildungen, begeisterten Innovationen und neuen Unterrichtsmethoden scheint verschenkt zu werden – und der Großteil der Schulfamilie wird es nicht verstehen können. Datenschutzdebatten sind zu technisiert, für den Laien nicht verständlich, und im Privatleben scheinbar für die meisten Menschen deutlich weniger wichtig. Wir verheddern uns hier in Debatten, die am Ende unsere Schulfamilie – allen voran unsere Schülerinnen und Schüler – global benachteiligen, weil ihr Unterricht zurück in die digitale Steinzeit katapultiert wird. Gerade Videokonferenzsysteme, wie visavid, werden nach der Pandemie eine Ausnahmeerscheinung werden. Sicherlich wird man weiterhin Fachschaftssitzungen, spontane Dienstbesprechungen, und das ein oder andere Elterngespräch über Videokonferenz abhalten, doch das, was an Innovationen im Präsenzunterricht nützlich wäre, wird wohl wieder abgeschafft. Denn eine echte Alternative zu Teamshat kein deutsches Kultusministerium zu bieten. Dabei wäre ein Kompromiss doch durchaus denkbar: visavid für Videokonferenzen, mebis für Selbstlernkurse und ein datenschutzrechtlich maßgeschneidertes Teams bzw. Microsoft 365für kollaboratives Arbeiten, digitale Heft- und Materialverwaltung (z.B. in OneNote) und Kommunizieren. Wir fragen beim Kultusministerium nach, inwieweit eine weitere Nutzung, z.B. von Sachaufwandsträgerlizenzen rechtlich möglich wäre. Eine solche Lizenz bietet ja beispielsweise die Landeshauptstadt München schon seit Beginn der Pandemie an.
Autor: Florian Zeindl, StR (digitalisierung@mllv.bllv.de)

[1] www.km.bayern.de/pressemitteilung/11948/neues-videokonferenztool-visavid-fuer-alle-schulen-in-bayern-und-verlaengerung-von-ms-teams.html

[2] www.bayern.de/bayern-treibt-den-einsatz-von-video-technik-in-den-gerichten-voran-seit-jahresbeginn-wurden-mehr-als-539-verhandlungen-allein-an-dem-amts-und-den-landgerichten-in-muenchen-digital-gefuehrt-justiz/