Bildung für nachhaltige Entwicklung – von Anfang an!

Demokratiewerkstätten in Kindertageseinrichtungen Wenn Kinder von klein auf erfahren, dass es auf ihre Meinung ankommt und dass sie mitgestalten können, lernen sie auch Verantwortung für sich und ihre Umwelt zu übernehmen. Daher ist Partizipation eine wesentliche Säule im Konzept der UNESCO zur „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE). Vor allem in Hinblick auf das 30-jährige Bestehen der UN-Kinderrechtskonvention im Jahr 2019 beschäftigen sich viele Kindertagesstätten und Träger mit den Normen und Werten in demokratischen Gesellschaften. Der gesetzliche Auftrag für eine Erziehung zur Demokratie ist ins Bewusstsein und in den Vordergrund gerückt.

Projekte zur demokratischen Bildung und Förderung der Partizipation entstehen und basieren auf folgenden Grundlagen: In der UN-Kinderrechtskonvention (1989) wird das Recht der Kinder formuliert, „an allen sie betreffenden Entscheidungen entsprechend ihrem Entwicklungsstand beteiligt zu werden“. Zugleich haben die Kinder das Recht, sich nicht zu beteiligen. Dieser Freiwilligkeit seitens der Kinder, ihr Recht auszuüben, steht jedoch die Verpflichtung der Erwachsenen gegenüber, Kinder zu beteiligen und ihr Interesse für Bildung zu wecken. Ähnliche Formulierungen und weitere Aussagen finden sich auch im VIII. Sozialgesetzbuch, im BayKiBiG Artikel 10 Abs. 2, im Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan (BayBEP) sowie im Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG). In Letzterem wird auf die Bedeutung von Partizipation als Baustein für den Kinderschutz hingewiesen.

Was passiert in den Kitas?

Die Kindertageseinrichtungen beschäftigen sich mit dem Thema Demokratie und Partizipation auf unterschiedliche Weise. Die Aspekte Beteiligung, Mitbestimmung, Mitwirkung, Teilhabe, Teilgabe, Selbstbestimmung und Beschwerdemöglichkeiten sowie die Einrichtung demokratischer Gremien und Abläufe werden unabhängig vom Alter der Kinder diskutiert. Bereits 1995 erschien das Buch „Kinder reden mit! Beteiligung an Stadtplanung und Stadtgestaltung“ von Richard Schröder. In Schleswig-Holstein wurde im Jahr 2001 das Projekt „Kinderstube der Demokratie“ gegründet, das sowohl methodische Vorgehensweisen vorschlägt, als auch Multiplikatorinnen und Multiplikatoren ausbildet, die wiederum Partizipationsprojekte in den Einrichtungen begleiten. Zahlreiche Bücher sind seitdem erschienen und mehr und mehr Einrichtungen widmen sich dem Thema Partizipation.

Hier ein exemplarischer Ablauf, wie das Thema Partizipation umgesetzt werden kann und wie die Befähigung zur demokratischen Teilhabe in Kitas gefördert wird:

1. In den Einrichtungen wird zunächst eine Art Bestandsaufnahme gemacht über das Vorhandensein partizipativer Strukturen und Erfahrungen im Hinblick auf die Beteiligung von Kindern.

2. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhalten einen Input zum Thema Demokratie, Partizipation, Kinderrechte, Beschwerderecht für Kinder und die Verbindung zu den Werten des jeweiligen Trägers. Gegebenenfalls und unter Berücksichtigung des Alters der Kinder werden Gremienstrukturen etabliert, die demokratischen Strukturen gleichen. So werden beispielsweise Kinderkonferenzen etabliert, Delegierte gewählt, die die Interessen der Kinder im Plenum oder im Kinderparlament vertreten. Die Rechte der Kinder und die genauen Abläufe der demokratischen Gremien werden analog zum Grundgesetz in einer Kita-Verfassung niedergeschrieben. Diese wiederum wird von allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unterschrieben.

3. Das Projekt wird den Eltern frühzeitig vorgestellt.

4. Im Anschluss an den ersten Input wird in den Kita-Teams reflektiert, an welchen Themen die Kinder beteiligt werden sollen und wo sie nicht beteiligt werden sollen. Ein Beispiel: in vielen Kitas sollen die Kinder selbst entscheiden, was und wie viel sie essen. Die Fragen der Personalauswahl hingegen behalten sich die Träger sowie die Fachkräfte gerne vor. Die Kinder werden häufig aber auch gehört oder ihre Reaktion auf neues Personal wird berücksichtigt.

5. In die Verfassungen werden die Ergebnisse als Minimalstandards aufgenommen, so dass jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter zustimmen kann. Es entsteht ein Konsens über die Vorgehensweise in unterschiedlichen Bereichen.

6. Die fertigen Verfassungen werden den Eltern vorgestellt.

7. Gemeinsam mit den Kindern werden die Verfassungen in Kindersprache und Kinderschrift übersetzt und den allen Kindern vorgestellt.

8. Die Verfassungen werden kontinuierlich überarbeitet und angeglichen unter dem Aspekt, den Kindern größtmögliche Mitsprache und Mitwirkung, sowie Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung zu ermöglichen.

Ziele partizipativer Prozesse

Die Ziele von Partizipation in Kindertagesstätten sind (in Anlehnung an den BayBEP):

  • die eigenen Gefühle, Bedürfnisse, Interessen und Wünsche wahrnehmen, verbalisieren und sich dafür einsetzen
  • Beschwerden formulieren, Kritik äußern
  • die Sichtweisen anderer anhören, respektieren und wahrnehmen
  • Fähigkeiten und Techniken erwerben, die für eine konstruktive Gesprächs- und Streitkultur und ein gutes Konfliktmanagement erforderlich sind
  • die eigenen Interessen mit den Interessen anderer demokratisch verhandeln
  • Verantwortung tragen, sich zuständig fühlen für eigene Belange und die der Gemeinschaft
  • mit Frustrationen umgehen
  • die eigenen Rechte kennen
  • ein Grundverständnis für demokratische Prozesse und Abstimmungen erhalten
  • Erfahrungen sammeln in der Begegnung mit Verwaltung und Politik

Dabei lernen die Kinder auf die eigene Wahrnehmung zu vertrauen (Selbstvertrauen), bewusste Entscheidungen zu treffen (Selbstbewusstsein und Reflexionsfähigkeit) und dass sie etwas bewirken können (Selbstwirksamkeit). Sie erfahren Gesprächsregeln und Gesprächsdisziplin, lernen Abstimmungsregeln und Aushandlungsprozesse kennen und stärken ihr Selbstbewusstsein. Dies belegen auch zwei Studien, die in Schleswig-Holstein (2001-2003) und Nordrhein-Westfalen (2009-2012) durchgeführt wurden. Die Autorinnen und Autoren der Studien sahen damit einen Nachweis dafür erbracht, dass sich die Kinder durch die demokratische Verfasstheit der Kindertageseinrichtung zahlreiche demokratische Kompetenzen aneignen. Gemeint sei damit unter anderem, dass die Kinder lernen, Meinungen zu äußern und sich zu entscheiden, gemeinsam Ideen zu entwickeln und umzusetzen, Regeln einzuhalten, demokratische Verfahren „funktional zu praktizieren“ sowie demokratisches Wissen auf Bereiche außerhalb der Kita zu übertragen; gemeint sei ferner, dass die Kinder ihre Frustrationstoleranz und Konzentrationsfähigkeit trainieren.

Letztlich ist die Etablierung partizipativer Prozesse eine Frage der Haltung. Hinter den Fragen „Wie viel können wir den Kindern zutrauen?“, „Wie viel Mitbestimmung können wir als Fachkräfte verantworten?“ und „Wo behalten wir als Fachkräfte den Hut auf?“ verbirgt sich die Bereitschaft, Macht an die Kinder abzugeben. Den Mut zu haben, andere Lösungsstrategien als die eigenen für möglich zu halten, erfordert die Bereitschaft zur Reflexion. Durch Reflexion der Alltagssituationen festigt sich das Team und erarbeitet sich eine gemeinsame Haltung.

Und: Haltung zählt!

Anna Fröhlich, Erzieherin, B.A. BiSoMa und freiberufliche Referentin

Tipps zum Weiterlesen:

  • Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen: Bayerischer Bildungs- und Erziehungsplan, Cornelsen Verlag, 6. Aufl. 2013, S. 22ff; S. 53ff; S. 389ff
  • Rüdiger Hansen et al.: Das Praxisbuch: Mitentscheiden und Mithandeln in der Kita: Wie pädagogische Fachkräfte Partizipation und Engagement von Kindern fördern (2015)